Immer wieder Verführung - The End
Dieses Buch ist auch bei allen anderen gängigen Onlineshops, wie Thalia, Weltbild, Hugendubel etc. so wie beim A.P.P. Verlag erhältlich.
Leseprobe
1. Seine VerteidigungMia Marena ›back to the past‹ Engel
Als ich die Augen aufschlug, war ich im ersten Moment ziemlich orientierungslos.
Wo war ich? Wieso war mir so heiß? Und warum roch es hier so ungewohnt ...?
Nach einigen Sekunden lüftete sich jedoch meine Verwirrung.
Ich lag in Robbies Bett in jenem Kinderheim, in dem ich auch arbeitete. Unter zwei dicken Decken begraben, blickte ich geradewegs auf das süßeste Bild, das sich mir bieten konnte: Tristan Wrangler – mein persönlicher Sexgott, seitdem ich denken konnte – saß immer noch auf einem weißen, abgewetzten Schaukelstuhl in der Ecke des Raumes. Über ihm lag eine kleine Decke ... die so gut wie nichts brachte, weil sie nur seinen Bauch bedeckte. Ich wusste sofort, dass ausschließlich Robbie auf so eine liebenswerte aber unnütze Idee kommen konnte.
Der sechsjährige Engel thronte auf einem winzigen Hocker vor Tristan, die Ellbogen auf seinen Knien abgestützt, das Kinn auf den putzigen Händchen, während die beiden in ein Gespräch vertieft waren.
Tristan lachte gerade leise und mein Herz ging auf, denn dieser Ton war leider immer noch viel zu selten. Er verwuschelte Robbie die feinen hellen Haare, bevor er ihm seine große Hand hinhielt.
»Abgemacht Chef!«
»Wirklich?« Ich wusste, wie Robbies Augen strahlten, wenn er so klang.
»Ja, wirklich«, verkündete Tristan immer noch glucksend und schüttelte die kleine Hand.
»JAAAAAAAAAAAAAAAA!«, rief Robbie aus und beide blickten sofort alarmiert zu mir.
Ich lächelte sie an und gab ihnen damit zu verstehen, dass sie mich nicht geweckt hatten.
»Was heckt ihr schon wieder aus?«, fragte ich und streckte mich träge. Ich bemerkte genau, wie Tristans Blick ausgiebig auf meinen Brüsten verweilte, bevor er mir unschuldig ins Gesicht sah und mit den Schultern zuckte.
»Nichts.«
»Das ist ein Geheimnis!«, setzte Robbie noch hinzu, dessen Wangen schon um einiges rosiger wirkten als gestern Nacht.
Gestern Nacht, als ich solche Angst gehabt hatte.
Zum einen um Robbie, der sich anscheinend eine Magen-Darm-Grippe oder Lebensmittelvergiftung zugezogen hatte, und zum anderen davor, dass Tristan tatsächlich gehen würde ...
Doch in Bezug auf Tristan Wrangler hatte sich etliches geändert! Wir hatten eindeutig Fortschritte gemacht, denn immer mehr von dem alten Tristan, der vor acht Jahren mein persönlicher Held mit dem knallroten Audi und den dreckigen Gedanken gewesen war, kam durch ...
Und er schien nichts dagegen zu haben!
***
Als er mich nach Hause fuhr, dachte ich über die Ereignisse der letzten Wochen ausgiebig nach.
Unser erstes Treffen bei seiner Fotoausstellung; unser erster Sex – so brutal und gefühllos und doch irgendwie berauschend; der Vertrag, der nie wirklich ganz eingehalten worden war; seine kühle, unnahbare Art, jedoch auch die Momente, in denen er weich geworden war und mich an sich rangelassen hatte. Bis hin zu der Reise nach Prag und unserer Aussprache auf dem Aussichtsturm Petrin.
EVA EBER!
Und seine Beichte, dass ich in all der Zeit die Einzige für ihn gewesen war, neben seinem Versprechen, dass er nicht mehr SO zu mir sein würde.
Aus irgendeinem Grund war er sehr schweigsam und in sich gekehrt, während er sich offensichtlich auf die Straße konzentrierte – kein Durchkommen möglich. Allerdings war das nicht ungewöhnlich, was mir die Gelegenheit gab, weiterhin meinen eigenen Grübeleien nachzuhängen.
Ich dachte genauer an gestern Nacht und als Erstes fiel mir auf, dass Tristan meine Küsse in der Quelle zugelassen hatte, obwohl es eigentlich gegen die Regeln des Vertrages verstieß, den er mir gleich zu Beginn unserer ›Beziehung‹ vorgelegt hatte. Meine Lippen hatten tatsächlich seine perfekten Muskeln unter seiner duftenden Haut berühren dürfen! Und er schien nicht mal gemerkt zu haben, dass ich damit knallhart die heiligen Gesetze des Gottes missachtet hatte. Wahrscheinlich war er so von der Lust berauscht gewesen, dass er alles andere vergessen hatte – wie es mir auch so oft geschah, wenn wir intim wurden.
Aber das war nicht alles!
Gestern war er so anders gewesen! So sanft – ein wenig so wie früher. Er hatte mit mir gescherzt, gelacht und mit mir gespielt, was mich aber keineswegs eingeschüchtert hatte.
Doch das war sicher nur auf sein schlechtes Gewissen wegen Eva Eber zurückzuführen!
Vielleicht aber auch auf die Tatsache, dass ich ihn fast verlassen und ihm somit klargemacht hatte, dass er mich tatsächlich verlieren könnte. Das wollte er nicht, weil der alte Tristan mich immer noch liebte und für uns kämpfte. Tief drinnen, verborgen unter dem ganzen Hass ... unter dem ich ihn immer mehr hervorholte.
Möglicherweise hatte er sich deswegen die restliche Nacht um Robbie gekümmert, und ganz bestimmt fühlte ich mich genau aus diesen Gründen am heutigen Morgen so unsagbar glücklich.
Sehnsüchtig wandte ich ihm meinen Kopf zu und beobachtete sein markantes Profil und den ausgeprägten Kiefer, der so sexy aussah und mich immer magisch anzog und aufforderte, mit den Fingerspitzen oder meinem Mund daran entlang zu gleiten. Seine vollen Lippen, die so unsagbar gut küssen konnten ... seine männlichen, schönen Hände, von denen eine auf der Schaltung lag und die andere locker das Lenkrad festhielt.
Wie üblich entging Tristan nicht, dass ich ihn anstarrte, denn er sah mich an.
»Was?«, fragte er knapp, aber nicht unfreundlich.
»Nichts«, antwortete ich schüchtern und errötete, weil er mich beim Schmachten erwischt hatte – mal wieder!
Natürlich genügte ihm das nicht. »Nichts?«
Ich verdrehte die Augen. »Ich habe nur wieder mal dein hart erarbeitetes Aussehen bewundert«, gab ich also zu, denn ich wusste, er würde nicht locker lassen.
»Ach so das«, winkte er ab. Dann schmunzelte er. »Gefall ich dir jetzt besser als früher? Als reifer starker Mann?« Er zog mich auf – eindeutig. »Jetzt kann ich dich in jeder möglichen Position ohne Probleme halten. Kennst du die hängende 69 eigentlich schon?« Ich wurde knallrot.
»Oh man, Tristan ... Du bist zwar vom Aussehen her reifer, was ich übrigens wahnsinnig sexy finde, aber dein Mund ist noch immer so verdorben wie mit achtzehn ...«
»Und das finden Sie etwa nicht sexy, Miss Angel?«, erkundigte er sich abschätzend.
»Doch«, erwiderte ich kleinlaut und rutschte auf meinem Sitz herum, weil ich vom erotischen Klang seiner Samtstimme unsagbar heiß wurde. Außerdem hatte er mich wieder Miss Angel genannt! Nicht Mia Marena!
»Überschwemme ich gerade Ihr Höschen?«, bohrte er weiter und das mit dem größten Vergnügen.
»Nein!« Ich hörte auf mich zu winden, und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Ich bin nicht mehr so leicht zu reizen wie früher. Du musst nicht mehr nur mit den Fingern schnipsen, um mich kurz vor den Orgasmus zu bringen!« Oh man ... ich lehnte mich mit meiner Lügerei sehr weit aus dem Fenster, aber er war so schrecklich selbstüberzeugt und arrogant! Was er auch sein durfte, denn es war begründet, aber egal.
»Nein, mit den Fingern muss ich dafür tatsächlich nicht schnipsen, wobei das so auch nicht ganz stimmt. Ich weiß von Stellen an deinem Körper, da genügt das völlig. Aber meist reicht es schon, wenn ich dir die richtigen Bilder in deinen versauten Kopf pflanze. Soll ich?«
»NEIN! Ich habe heute vielleicht noch was zu tun! Eventuell muss ich sogar mit schweren Maschinen hantieren und ganz sicher Messer gebrauchen!«
Jetzt lachte er wirklich.
»Halt den Mund!« Und ich schmollte auch wirklich!
»Darf ich dann ebenfalls nicht sagen, dass ich dich scharf wie die Hölle finde, beim Gebrauch von schweren Maschinen? So ein Bagger oder Kran ... am besten in Latzhose und sonst nichts ...«, säuselte er.
Ich schnaubte. »Eigentlich meinte ich den Rasenmäher ...«, woraufhin er lauter lachte. Doch bevor wir dieses befreiende Geplänkel ausweiten konnten, bei dem ich mich fühlte wie damals – einfach nur glücklich –, waren wir auch schon angekommen! Und leider ... musste ich jetzt nach Hause und mich von ihm trennen ...
Als würde er mich auch noch nicht verlassen wollen, verlängerte er unsere Zeit tatsächlich noch um ein paar Minuten, indem er mich begleitete. Beim Hochgehen stolperte ich fast über drei knallpinke Koffer, die vor den Briefkästen standen, und er fing mich kopfschüttelnd am Arm auf – mal wieder.
Vor meiner Wohnungstür blieben wir stehen. »Also ...« Ich kaute auf meiner Lippe rum und betrachtete den Teil Brustmuskel, der nicht von seinem schwarzen Hemd verdeckt wurde.
»Ja?« Er legte seinen Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, sodass ich in diese bodenlosen grünbraunen Tiefen fiel.
»Ja ...«, hauchte ich.
»Ich werde jetzt gehen ...« Sein Daumen strich über meine Unterlippe und ich bildete mir ein, dass er mit sich kämpfte, mich nicht zu küssen.
»Hm-hm ...« Ich streckte meine Lippen unauffällig ein Stückchen vor, weil ich wusste, dass sie so voller aussahen.
»Wir sehen uns ...« Wie gebannt starrte er meine Lippen an – ich seine genauso.
»Hm-hm ...«, summte ich erneut und stellte mich noch unauffälliger auf die Zehenspitzen.
Tristan beugte sein Gesicht herab. Ganz langsam, wie hypnotisiert.
»Was hast du nur schon wieder mit mir gemacht, dass ich an nichts anderes denken kann als an dich ...«, flüsterte er.
OH MEIN TRISTAN!
Ich fühlte und schmeckte seinen minzigen Atem auf meinem Mund und seufzte.
»Dasselbe, was du mir antust ...«
Nur noch ein paar Millimeter trennten mich vom Paradies. Nur noch ein Atemzug ... Ich schloss die Augen und klammerte mich an seinen Unterarmen fest. Seine Hände lagen plötzlich auf meinen Wangen, hielten mich, als bestünde ich aus teurem zerbrechlichem Porzellan ...
»Tristan ...«, hauchte ich und erwartete, dass es nun endlich geschehen würde.
Aber nichts da ...
Jemand kam die Treppen hochgestöckelt und wir sprangen auseinander. Als ich erblickte, wer uns unterbrochen hatte, erfror ich auf der Stelle.
»OHHHH WOAAAAH!«, rief die helle Stimme aus, und ehe ich mich versah, befühlte eine Hand, die nicht meine war und somit nicht dorthin gehörte, fachmännisch Tristans Bizeps.
»ER HAT MUSKELN AUS STAHL!« Rote lange Fingernägel brannten sich in meine Optik. »OH ... ein Achtpack, oder?!«, trällerte sie ohrenbetäubend laut. Ich konnte im ersten Moment nur starren, genau wie Tristan.
»Wieso weiß ich nicht, dass du mit so einem Adonis zusammen bist? Der ist ja besser als Ian Somerhalder und Channing Tatum zusammen. Der ist sogar noch besser als Robert Pattinson! Oh, und diese breiten Schultern ... er trainiert sicher täglich ...«
»Mum, hör auf ihn zu betatschen!« Damit packte ich ihre Hände, die ihm gerade an den Arsch fassen wollten, und zog sie von Tristan weg.
»Mum?«, wiederholte er hohl.
»Ja, Mum!«, stieß ich aus und schaute sie mir genauer an. Seit etwa sieben Jahren hatten wir uns nicht mehr gesehen, trotzdem konnte ich mich an ihren Look nicht gewöhnen, denn sie hatte sich in der Zeit kein bisschen verändert.
Neben dem sehr kurzen rosa Jeansrock trug sie ein hellblaues Oberteil. Tausende Ketten hingen um ihren Hals, Ringe an ihren Ohren und Armbänder um ihre Handgelenke. Die Haare hatte sie hellbraun gefärbt, mit diversen blonden Strähnen darin, und das Ganze zu einem merkwürdigen Gebilde toupiert, was sicherlich nur mit einer Dose Haarspray hielt. Kurzum: Meine Mutter sah aus wie ein Streifenhörnchen. Um die zu stark geschminkten Augen hatten sich mit den Jahren kleine Lachfältchen gegraben, die sie aber nicht weniger attraktiv machten. Ihre dunkelschwarzen Wimpern waren eindeutig aufgeklebt und die Lippen rot geschminkt. Die weißen Zähne dahinter waren aufgebleicht. Ihre hohen Wangen schimmerten in starkem Rouge ... im Großen und Ganzen war sofort zu erkennen, dass meine Erzeugerin immer noch sehr auf ihr Aussehen achtete – zu sehr! Mir widerstrebte es zwar, allein diese Gedanken zu hegen, aber sie wirkte wie die personifizierte Schlampe und hatte damit enorme Ähnlichkeit mit Eva Eber, deren Bild sich vermutlich als Veranschaulichung für den Begriff ›Oberschlampe‹ durchgesetzt hatte.
Mittlerweile hatte ich, trotz des Vorsatzes, jedem Menschen ohne Vorurteile zu begegnen, eine tiefe Abneigung gegen solche Frauen entwickelt, aber wie auch nicht?!
Alles an ihr wirkte falsch, ob es nun ihr Charakter, ihre Brüste oder ihre Nase waren, von der ich mich fragte, wie sie diese finanziert hatte.
Ihre Figur war schlank, jedoch gut proportioniert und wurde durch die Solariumbräune unterstrichen. Die Beine steckten in weißen Stiefeln mit mörderischem Absatz. Ihre Aufmachung schummelte locker zehn Jahre weg, trotzdem war das Ergebnis keineswegs liebenswert.
Ich wollte mit ihr nichts mehr zu tun haben, und auch wenn es hart war, so hatte ich für sie nur noch Verachtung übrig.
»Was machst du hier?«, fragte ich und konnte die Abscheu nicht aus meiner Stimme vertreiben. Ich wollte sie hier nicht haben!
Sie lächelte spöttisch und nahm ihren aufdringlichen Blick für keine Sekunde von Tristan, von dem sie wiederum ziemlich überheblich bis leicht angewidert und etwas verstört betrachtet wurde.
»Martin Schmitt hat sich in der Stadt ein neues Konto bei der Bank einrichten lassen, und rate mal, wer sein Berater ist. Dieser heiße Bursche!« Sie wollte erneut nach Tristan greifen, aber er wich einen Schritt zurück.
»Lass die Finger von mir, Frau!«
Nachdem sie laut aufgelacht hatte, redete sie weiter, als wäre nichts geschehen. Genau genommen plapperte sie ohne Punkt und Komma. »Sie haben sich über ihre Freundinnen unterhalten, und rein zufällig fiel dein Name. Martin hat mich natürlich sofort angerufen, um mir zu sagen, wo du zu finden bist ... und ich habe mir gedacht, ich schau mal nach meinem Baby ... Ich konnte es nicht glauben, dass gerade DU mit deinem doch eher durchschnittlichem Aussehen, dir einen waschechten Bankmanager geschnappt hast ... und jetzt, wo ich IHN SEHE ... kann ich es noch weniger glauben. Wie hast du das angestellt?! Na ja ... Aber wenigstens bist du nicht mehr so eine Wuchtbrumme wie früher ... Deswegen ganz sicher! Wobei ... deine Titten haben ja auch ziemlich unter deiner Abnehmerei gelitten. Vielleicht zahlt dir dein Hauptgewinn ja eine kleine OP, damit du endlich mal aussiehst wie eine anständige Frau ... und was hast du nur mit deinen Haaren gemacht? Die sind so trocken! Nimmst du keinen Hitzeschutz? Sieht nicht so aus, eher als ...«
»Hör auf!« Ich hatte mittlerweile Tränen in den Augen, weil ich es nicht mehr gewöhnt war, so gedemütigt zu werden, und das auch noch vor Tristan, der wohl das erste Mal in seinem Leben wirklich sprachlos neben uns stand.
Unbeeindruckt wandte meine Mutter sich ihm zu, senkte ihre Lider, leckte sich über die Lippen, streckte ihre Brüste raus – schaltete also auf Jagdmodus – und zog aus ihrer Tasche eine Visitenkarte, die sie ihm unter die Nase hielt, während sie sich lasziv an ihn lehnte.
»Wenn du mal Lust auf wirklichen Spaß hast, dann melde dich bei mir.«
»Nein, DANKE!« Tristan betonte seine Worte und schob angewidert ihre Hand weg. Sie ließ sich nicht beirren ...
»Ich bin für alles offen.«
Tristan tat, als würde er würgen. Sie säuselte trotzdem weiter.
»Außerdem habe ich Erfahrung, Süßer. Erfahrung, von der sie nur träumen kann ... Ich kann Dinge mit dir anstellen, von denen hat das kleine Mäuschen hier keine Ahnung! Mia, du hast doch nichts dagegen, ihn mir mal auszuleihen, oder?«
»HAT SIE!«, stieß Tristan hervor. Ich war derart überwältigt von so viel Dreistigkeit, dass ich nichts sagen und nichts tun konnte, um ihn zu verteidigen. Das Schlimmste ... sie hatte womöglich recht ... Nein, sie hatte recht, und sie schaffte es immer, mein Selbstbewusstsein zu zerstören. Das hatte sie schon getan, als ich ein Kind war, und jetzt klappte es genauso perfekt. Ich fühlte mich klein und wertlos und wollte nur noch im Erdboden verschwinden oder mich anderweitig verkriechen, doch ich kam nicht weg. Panik machte sich in mir breit. Die Luft ging mir aus und es wurde alles so eng ...
»Mia-Baby ...«, raunte Tristan plötzlich in bester Ich-schwemme-dein-Höschen-weg-Manier. Ohne Vorwarnung nahm er mein Gesicht wieder zwischen seine Hände, drängte meine Mutter aus dem Weg, drückte mich gegen die Wand hinter mir und presste sich an mich. Ich fühlte sofort, wie es verlangend in seiner Hose zuckte. Verlangend nach MIR!
»Lass das!« Somit beugte er sich herab und gab mir ohne Vorwarnung einen winzig kleinen Kuss auf die Lippen. Diese zaghafte Berührung schoss wie ein Elektroschock durch meinen Körper. Ich keuchte auf, krallte mich in seine Hüften und schmiegte mich eng an ihn. Wo eben noch das blanke Chaos in mir getobt hatte, wurde es nun durch Sehnsucht und sogar Glück ersetzt. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und marschierte davon. Im Gehen zerriss er die Karte meiner Mutter und schmiss sie achtlos auf den Boden. Ich starrte ihm benebelt hinterher, fasste mir langsam an meine Lippen und konnte nicht glauben, dass Tristan Wrangler gerade seine Lippen auf meine gelegt hatte.
Er hatte mich geküsst. Ganz von alleine!
Als mir das klar wurde, lächelte ich, trotz seines plötzlichen Abgangs, und ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus, das nicht einmal meine Mutter mit ihrer kalten, grausamen Art zerstören konnte.
»Also du musst mir alles von Francesco erzählen«, plapperte die schon wieder los, als wäre nichts geschehen. »Ihr seid ja schon irgendwie süß zusammen, aber ich bin mir sicher, dass er andere fickt ...«
Ich verdrehte die Augen. »Mum, was willst du hier? Jetzt im Ernst!«
Schwerfällig ging ich vor, sperrte auf und trat in meine Wohnung. Sie folgte wie ein Dackel.
»Also ... ähm ...«, druckste sie rum, während ich sie genervt abwartend anschaute und mir die Schuhe auszog.
»Ich möchte auch in die Stadt ziehen. Das mit deinem Vater ist mir einfach zu viel geworden ... Ich bin jetzt seit zwei Wochen clean, weißt du ... und mein Therapeut hat mir geraten, das Umfeld zu wechseln. Dann hörte ich von dir und dem reichen Banker, und dachte mir ... ihr könntet mir vielleicht den Aufenthalt in einer Entzugsklinik zahlen. Dort dürfte ich auch gleichzeitig einen wohlhabenden Mann finden und der Käse hat sich gegessen!«
»Der Aufenthalt ist umsonst!«
Sie lachte.
»Ich geh doch nicht in irgendeine Klinik!«
»Nur weil mein Freund Geld hat, heißt es nicht, dass ich es ausgebe, als wäre es meins, Mum.«
»Na ja. Dein Vater hat sich so gefreut, als ich ihm von dir und Francesco erzählt habe.« Sie zog mich zur Couch. Allein bei der Erwähnung von Harald Engel sammelte sich Schweiß auf meiner Stirn und das wusste sie genau!
»Du hast es Dad erzählt?«
»Ja, natürlich! Er will ja nicht, dass du noch einmal an so einen gerätst wie diesen Drustan.«
»Tristan, Mama ...« Mist! Mist! Mist! Okay ... also war Tristan jetzt einfach mal Francesco ... Denn wenn ich ihr die Wahrheit erzählen würde, wüsste mein Vater schneller davon, als mir lieb wäre ... und er würde schneller hier herkommen, als ich Tristan warnen könnte.
»Wie auch immer. Dieser Francesco ist sowieso das Beste, was dir passieren konnte ...«
»Hm-hm ...«
»Wann gehen wir zusammen essen? Ich will ihn richtig kennenlernen!«
»DAS geht nicht!«, wehrte ich entschieden ab.
»Warum? Will er etwa nicht mit seiner Schwiegermutter Bekanntschaft schließen? Oder muss ich erst deinen Vater holen, um ihm Manieren beizubringen?«
»NEIN!« Nicht mein Vater! Bloß nicht den! Er hatte schon einmal alles zerstört. Und es reichte bereits, dass ein Elternteil hier war!
»Also morgen Abend passt mir gut«, verkündete sie süffisant. »Und dann können wir doch gleich mal über meinen Klinikaufenthalt reden. Aber vielleicht bleibe ich auch einfach für immer bei dir. Deine Wohnung ist zwar hässlich, aber ich kann ja Hand anlegen, dann wird’s schon ...« Ja, mit deiner Hilfe werde ich sicher schön im Müll ersticken ... dachte ich sarkastisch. Meine Mutter zog sich den Lippenstift nach, während ich mich neben sie auf die Couch setzte und das Handy aus meiner Tasche kramte.
Ich schrieb Tristan.
›Ich brauche deine Hilfe ...‹, und schickte es weg, ehe ich es mir anders überlegen konnte.
›Darauf habe ich gewartet ;)‹, schrieb er umgehend zurück, und noch bevor ich den untypischen Smiley verkraftet hatte, grapschte meine Mutter schon nach meinem Handy.
»Wem schreibst du?«
»Geht dich nichts an!« Eilig riss ich den Arm hoch und ging in die Küche um Wasser für Tee aufzusetzen.
›Ich muss sie wieder los werden, Tristan!‹ Ich fühlte mich schlecht, als ich ihm das textete. Aber gleichzeitig wusste ich, dass er der einzige Mensch war, der mich in der Hinsicht verstehen würde, schließlich kannte er meine Vergangenheit zu gut.
›Ich weiß.‹
›Wirst du mir helfen?‹ Ich spähte ins Wohnzimmer und sah, dass sie es sich mit der Fernbedienung auf der Couch gemütlich gemacht hatte. Ihre langen, rot lackierten Fußnägel glänzten im Licht des Fernsehers und ich wandte mich ab ... Schon als Kind hatte ich ihre Füße gehasst ... wieso auch immer.
›Was muss ich tun? ‹, kam seine Antwort. GOTTSEIDANK!
›Erst mal musst du so tun, als wärst du Francesco ...‹ Ich zerkaute mir die Fingernägel, als ich auf seine Antwort wartete.
›Ich bin kein verdammter Kleinschwanz!‹
›Tristan, bitte! Sonst wird sie rausfinden, wer du wirklich bist, und dann wird sie es meinem Vater sagen und dann kommt er her!‹ Ich wusste, dass er das genauso wenig wollte wie ich.
›Sonst noch was? Soll ich für sie Striptease tanzen ... oder gleich mit ihr ficken?‹ Oh, okay ... JETZT war Tristan sauer.
›Nein ... du musst nur morgen Abend mit uns essen gehen! Bitte, Tristan ... Du bist der Einzige, der mir helfen kann, sie wieder loszuwerden. Tust du es, werde ich machen, was immer du verlangst ...‹ Ich fühlte mich schlecht, ihn nach Hilfe zu fragen ... Besonders nach unserer Vergangenheit, aber andererseits wusste ich, dass er mich nicht im Stich lassen würde. Tristan war ein großzügiger und hilfsbereiter Mensch. Außerdem würde ich mich revanchieren. Egal wie. Das wusste er und daraus würde er auch seinen Nutzen ziehen. Er schrieb trotzdem nicht sofort zurück und ich wurde immer nervöser, während ich zwei grüne Tees zubereitete. Ich wollte meine Mutter zwar nicht hier haben, aber rausschmeißen konnte ich sie auch schlecht ... Und ich war gastfreundlich, egal wie verhasst mir die Gäste auch waren.
Würde er mich vielleicht doch hängen lassen?
Als die Nachricht kam, stiegen mir vor Freude die Tränen in die Augen.
›Was tut man(n) nicht alles für sein gottverdammtes Mädchen, mit der Psychomutter ...‹ SEIN GOTTVERDAMMTES MÄDCHEN!
Ihm war es nicht klar, aber er nannte mich immer öfter Mia, Baby oder noch besser Mia-Baby, und jetzt war ich schon wieder sein Mädchen, und nicht mehr seine Schlampe. Inzwischen hätte ich vor Freude gern auf dem Tisch getanzt!
Auf diese Nachricht gab es für mich nur eine einzige Erwiderung.
›Ich liebe dich so, Tristan Wrangler!‹ Seine Antwort kam prompt und war so typisch er.
›Ja, ja ...‹
2. Starke WorteMia ›keine verfickte Ahnung‹ Engel
»Francesco ... Schatz ...« Ich ging auf den düster schauenden Tristan zu und blieb nicht stehen, bis ich ihn umarmt hatte, egal wie sehr meine Beine auch bei seinem mörderischen Ausdruck schlotterten.
Wir befanden uns vor dem T&P. Mista Wrangler sah wieder mal umwerfend und gleichermaßen gefährlich aus in seinem tiefschwarzen maßgeschneiderten Anzug, doch er wirkte nicht gerade erfreut über das gemeinsame Essen mit meiner Erzeugerin. Er war es nicht gewöhnt, dass ihm die Frauen so furchtlos auf die Pelle rückten, wie sie. Normalerweise war er der Dreiste und Skrupellose, aber in meiner Mutter hatte er in dieser Hinsicht wohl seine Meisterin gefunden.
Ich wusste nicht, wer von uns beiden heute mehr mit dem Gedanken spielen würde sie umzubringen. Dies versprach mit Sicherheit ein interessanter Abend zu werden, bei dem wir beide mit unserer Selbstbeherrschung zu kämpfen haben würden!
»Dafür wirst du büßen«, flüsterte er mir samten ins Ohr, während er mir zur Begrüßung einen Kuss auf den Mundwinkel hauchte. Ich erschauerte.
Ja ... das war mir klar ...
»Und da ist er wieder, der Sechser im Lotto!«, versuchte ich die Situation aufzulockern, musste aber selber die Augen verdrehen, als ich die viel zu schrille, aufbrausende Stimme meiner Mutter hinter mir vernahm, die von der Aufmachung des Restaurants schwärmte.
»Du wirst SEHR dafür büßen.« Tristan löste sich mit einem charmanten Lächeln von mir, ließ aber seinen Arm um meine Taille liegen, während wir uns zu meiner Mutter umdrehten, die ein erschreckend kurzes schwarzes Kleid trug.
Wobei es auch ein Negligé hätte sein können. Das war wirklich schwer zu sagen. Das Ganze wurde durch High Heels und tonnenweise Schminke abgerundet. Ich schämte mich furchtbar, und ihr dreckiges Grinsen, mit dem sie seit Neuestem meinen Tristan ansah, verwandelte meine sowieso schon vorhandene Abneigung gegen sie beinahe in Hass.
»Wie hab ich mich darauf gefreut, das hier tun zu können!« Dabei war es ihr komplett egal, dass ich gerade nur Millimeter entfernt neben ihm stand, dieser Mann nur mir gehörte und sie warnend anfunkelte. Trotzdem umrundete sie mit einer Hand seinen Körper, und ich hoffte stark für sie, dass sie ihm nicht in seine Hintern kneifen wollte.
»Unterstehen Sie sich, Lady!« Tristan hielt ihr Handgelenk in sicheren Fingern, bevor sie auch nur ansatzweise das ausführen konnte, was sie soeben im Sinn hatte. Ihm gelang das Kunststück freundlich zu bleiben, und das auch nur weil es sich bei der Frau, obwohl attestiert geisteskrank, um meine Mutter handelte, davon war ich überzeugt. Außerdem schlug er immer noch keine weiblichen Wesen – zumindest nicht vor Wut. Ansonsten machte er bei meinen Nippeln eine Ausnahme, vermutlich um mich in den Wahnsinn zu treiben.
Mürrisch betrachtete ich seine langen wissenden Finger, welche die Haut einer anderen berührten.
Tristans Blick fuhr aus dem Augenwinkel zu mir herum und ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie unschön es für mich war, dass er jemand anders anfasste ... aus welchen Gründen auch immer.
»Dieser Körper steht nur Ihrer Tochter zur Verfügung«, ergänzte er liebreizend und ließ sie los, um nach mir zu greifen. Er verschlang unsere Finger fest miteinander und sein Daumen strich über die Knöchel.
OH mein Tristan! Er hielt meine Hand, NICHT MEIN HANDGELENK! Streichelte mich, verhielt sich so, als wären wir wieder zusammen ... und glücklich ...
Schüchtern lächelte ich ihn an, registrierte die verräterische Hitze in meinen Wangen, als er uns zu einem etwas abgelegenen Tisch führte, die Mäntel abnahm und uns beiden die Stühle zurechtrückte. AHA! Es waren also doch vorzügliche Manieren vorhanden. Na gut, er war jetzt sicherlich nur ein vollendeter Gentleman, weil er auch die nötige Reife dafür besaß, WENN er wollte!
Mit einem wachsamen Gesichtsausdruck setzte Tristan sich zwischen uns und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich grinste zurück – es ging gar nicht anders. Viel zu lange hatte ich auf diesen bezaubernden Ausdruck und das Gefühl dieser tiefen Verbundenheit zwischen uns gewartet, denn nichts von der gewohnten Kälte war in ihm ...
Was war nur geschehen?
Meine Mutter schnaubte und nahm ziemlich aggressiv die Karte von dem netten, gut aussehenden Kellner entgegen. Ich tat es ihr gleich und verschanzte mich dahinter, denn Tristans warme Freundlichkeit, die er seit dem Vorfall mit der zu fleischgewordenen Sau Eva Eber ausstrahlte, verunsicherte mich zutiefst. Es sorgte dafür, dass ich ihn jetzt noch schwerer einschätzen konnte als zuvor. War das eine neue Art, sein Spiel mit mir zu treiben?
»Also, wie lang seid ihr zwei denn zusammen? Es kann ja noch nicht all zu lange sein, wenn du sie noch so anhimmelst, hm?«, erkundigte sich meine Mutter provokativ, und ich blickte sie mit zu Schlitzen verengten Augen an. Ohne zu wissen, was ich bestellen wollte, klatschte ich meine Karte auf den Tisch. Ich würde dieses Verhalten nicht länger dulden!
»Wir sind seit zwei Jahren zusammen!«, verkündete ich unterkühlt und bestellte bei dem Kellner aus Gewohnheit ein Wasser ...
»Sie bekommt ein Spezi«, mischte sich Tristan sofort ein, weil er wohl wusste, dass dies mein Lieblingsgetränk war. Ich starrte ihn fassungslos an, doch er nahm meine Hand auf dem Tisch, drückte sie kurz und ignorierte mich ansonsten überheblich. »Für mich dasselbe.«
Meine Mutter orderte ein Wasser.
»Dazu bitte die italienische Gemüsepfanne«, warf ich ein. Denn ich wollte mich nicht mit einer Vorspeise aufhalten, um diese Situation nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
»Sie nimmt den bayerischen Rostbraten, mit Kartoffeln, grünen Bohnen, und viel Soße«, korrigierte mich Tristan wieder mal ungefragt. Nicht, dass ich Rind nicht mochte ... ich liebte es sogar, zu besonderen Anlässen ... besonders Rostbraten, mit Kartoffeln, grünen Bohnen und viel Soße ... aber verdammt! Dieser blöde Vertrag hing mir aus dem ARSCH raus!
»Ich nehme DAS GEMÜSE! Tristan!«, flüsterte ich ihm tadelnd zu.
»Was?«, fragte meine Mutter misstrauisch über den Tisch hinweg, und ich erkannte sofort meinen Fehler, denn für sie war er ja Francesco Cavalli.
»Äh ... ich meinte: Bis dann ...« Unschuldig blinzelte ich sie an. Tristan gluckste.
Meine Mutter zog ihre millimeterdünn gezupfte Augenbraue nach oben.
»Ich esse normalerweise nichts, was mal Haare am Körper hatte ...«, rechtfertige ich mich weiter.
Tristan erstickte mittlerweile fast an seinem Lachen, bekam einen hochroten Kopf und bestellte letztendlich dasselbe wie ich.
»Aha ...« Meine Mutter schien noch etwas argwöhnisch, aber schließlich wandte sie sich an den Kellner. »Ich nehme den Lachs auf Bandnudeln. Kein Pfeffer. Keine Sahne!«, orderte sie hochnäsig und klappte die Karte zu, um Tristan ausgiebig zu mustern. Es nervte mich, wie offensichtlich sie ihn mit Blicken auszog.
»Also, so gut wie Francesco sah dein Ex, dem du so lang hinterher getrauert hast, sicher nicht aus ...«, setzte sie zum ultimativen NO GO an. Klar, sie hatte Tristan auch nie gesehen, obwohl das in dem kleinen Kaff, in dem wir aufgewachsen waren, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war. Das einzige Mal, als sie aufeinandergetroffen waren, hatte sie einen ihrer Rauschzustände ausgeschlafen.
Ich japste nach Luft, weil ich wusste, dass es nur noch schlimmer werden konnte. Tristan verkrampfte sich merklich.
»Wie hieß er noch mal, Romeo?«
»NEIN!«
»Dante?«
»MAMA, er heißt Tristan! Tristan, wie Tristan und Isolde!« Die anderen Gäste hoben ihre Köpfe, um mich mit Blicken für meine laute Stimme zu maßregeln. Sowas passierte mir in letzter Zeit ständig. Peinlich berührt sank ich etwas in meinen Sitz, und versuchte mich zu beruhigen.
»Wie auch immer ...« Meine Erzeugerin trank noch einen Schluck. »Ich hab nie verstanden, wie du dich wegen eines Mannes so quälen konntest! Schon gar nicht, wenn man bedenkt, wie er die Sache mit dir beendet hat!«
Ich spürte förmlich, wie sich Tristans Blick in mich bohrte. »Du kennst nur Dads Geschichte ...«, presste ich hervor.
»Du hast ja nicht mehr mit mir geredet, nachdem du zu deinem Onkel gegangen bist. Aber Patrick hat mir erzählt, dass du aussahst wie eine lebendige Leiche! Nicht einmal angerufen hast du mich ...« Sie zuckte mit den dünnen Schultern und warf ihre langen Haare zurück, die diesmal nicht toupiert, aber dafür geglättet über ihren Rücken fielen.
»Bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, dass du selber daran schuld bist, wenn deine einzige Tochter dir nichts zu sagen hat?« Wahrscheinlich war es Tristans Anwesenheit, die dafür sorgte, dass ich den Mut fand, ihr das ins Gesicht zu spucken, vielleicht lag es auch daran, dass ich sie so lange nicht gesehen hatte. Womöglich war es auch beides.
Sie lachte gekünstelt.
»Du hattest all die Jahre ein Dach über dem Kopf und Essen im Kühlschrank. Was wirfst du mir vor?«
»Und was ist mit Achtung und Respekt? Mit Liebe?«, flüsterte ich sehr leise, während ich den leeren Unterteller vor mir anstarrte und Tränen hinter meinen Lidern brennen fühlte. Plötzlich war da Tristans Hand unter dem Tisch, die meine nahm. Er löste meine verkrampfte Faust und strich mir über die Innenfläche meiner Hand.
»Pah! Von Liebe allein konnte bis jetzt noch kein Mensch überleben!«
»Aber ohne auch nicht ...«, schaltete sich Tristan plötzlich sehr kühl ein, und ich dachte, ich hätte mich verhört.
»Na ja, für die Liebe bist du ja nun zuständig, nicht?« Sie prostete ihm zu und Tristan schnaubte. Liebe ... Er war im Moment meilenweit davon entfernt, mich zu lieben, oder? »Und so, wie ich das sehe, machst du deinen Job ganz gut ...«, fügte meine Mutter verbittert hinzu, als sie den Blick bemerkte, mit dem ich ihn betrachtete.
Mein Kopf fuhr herum, denn diesen Kommentar hatte ich nicht erwartet. Wirkte er etwa auf andere tatsächlich so, als hätte er Gefühle für mich?
»Wie man´s nimmt ...« Tristan zuckte mit den Schultern und ließ meine Hand unter dem Tisch los. Es war, als hätte er mir meine Gedanken soeben bestätigt. Er liebte mich nicht – würde dies wahrscheinlich nie wieder können ...
»Auf ihr Aussehen kannst du ja wohl kaum scharf sein ...« Zum Glück kam der Kellner in dem Moment, denn ansonsten wäre Tristan wohl explodiert. Mir war der Appetit vergangen – komplett.
»Iss ...«, forderte seine samtene Stimme bestimmend und ich folgte murrend, obwohl mein Magen den Aufstand probte
Doch es war wirklich köstlich. Das Gemüse leicht angebraten, pikant gewürzt und die Nudeln hausgemacht. Meine Mutter haute rein, als hätte sie das letzte Mal vor einem Jahr was gegessen. Sie schmatzte, tropfte mit Soße rum und legte keinerlei Anstand an den Tag. Wenigstens war sie still ... und konzentrierte sich nur auf ihr Essen. Ich hingegen wurde in meinem Stuhl immer kleiner, und hoffte, dass dieser Albtraum bald ein Ende hätte ...
Sie zu beobachten, löste in mir einen akuten Anfall von Fremdschämen aus. Dabei fragte ich mich, ob ich etwas von dieser Frau geerbt hatte, betete, dass es – wenn ja – nicht zu viel war, und entschied, nur noch Tristan anzusehen.
Eine gute Wahl. Wenn auch eine ziemlich aufwühlende. Denn er war sehr sexy beim Kauen ... Diese Kiefermuskeln ... Mein Bauch zog sich zusammen.
Tristan bemerkte wie immer mein Starren und wandte mir abrupt sein Gesicht zu. Als er sah, wie ich ihn SCHON WIEDER anschmachtete, denn ich konnte den Blick nicht mehr schnell genug abwenden und wurde zu allem Überfluss auch noch knallrot, grinste er schief und plötzlich lag seine Hand auf meinem Knie ...
Auf meinem nackten Knie ...
Es brannte mir nichts dir nichts lichterloh. Sofort musste ich an unseren letzten Besuch in diesem Restaurant denken und verschluckte mich fast an einem Böhnchen.
Ich wollte meiner Mutter in nichts nachstehen und hatte das nuttigste, lilafarbene Kleid angezogen, das mein Kleiderschrank hergab. Tristan schien das zu gefallen, denn seine Finger malten jetzt sanfte Kreise auf meine Haut, immer weiter den Oberschenkel entlang. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Also biss ich mir auf die Lippe. Tristan knurrte leise. Ich seufzte. Oh NO ...
»Geh in fünf Minuten auf die Toilette!« Er hatte sich zu mir gebeugt ... und nun waren seine Lippen an meinem Ohr. Als ich seinen heißen Atem im Nacken spürte, erschauerte ich.
»Nicht hier!« Ich schüttelte den Kopf, auch wenn die Vorstellung sehr verlockend war, seinem Befehl nachzukommen, doch meine Mutter war dabei!
»Ist das etwa ein Nein?« Seine Nase strich langsam über meine Wange und die Finger träge nach oben. »Wenn du nicht vorhattest, mich zu verführen, wieso hast du dann SO EIN Kleid angezogen?«
»Das ist kein Nein!«, rief ich schon beinahe japsend aus, denn seine Hand war fast an meinem, natürlich alles andere als trockenem, Höschen angelangt.
»In fünf Minuten! Aber erst wirst du aufessen ... sonst gibt’s keine Nachspeise, Miss Angel«, summte er mir ins Ohr und biss sehr kurz und sehr zart in mein Ohrläppchen. Ich unterdrückte ein wohliges Stöhnen und er lehnte sich zurück.
Sein Gesicht war glatt und emotionslos, während man meinem die Aufgewühltheit auf zehn Meter Entfernung ablesen konnte.
Natürlich gehorchte ich, denn ich wollte wirklich gern meine Nachspeise haben!
Leider besaß ich keine Uhr.
Tristan verdrehte die Augen, als ich nach gefühlten fünf Minuten nach seinem Handgelenk griff und auf seine Rolex sah. Nur half mir das nicht, denn ich wusste ja die vorherige Zeit nicht. Fragend schaute ich ihn an. Er war genervt, wenn auch nur oberflächlich, darunter machte ich seine amüsierte Stimmung aus.
»Geh!«, flüsterte er mir zu und ich warf noch einen Blick auf meine schmatzende Mutter, die ganz mit ihrem Lachsfilet beschäftigt war.
»Entschuldigt mich«, verkündete ich und rannte fast zu den Toiletten ...
Doch dort kam ich nie an ... weil ich gegen eine breite männliche Brust prallte. Große Hände fingen mich an den Oberarmen auf, bevor ich auf meinem Hintern landen konnte, und ein dröhnendes Lachen erklang über mir.
»Sorry!« Als ich die Stimme erkannte, erstarrte ich kurz, dann sah ich hoch und Phillip Wrangler sog geräuschvoll Luft in seine Lungen, als er mein Gesicht erblickte.
»Mia!«
»Phil!«, riefen wir gleichzeitig und dann starrten wir uns an. Er hielt immer noch meine Oberarme fest ... Plötzlich ließ er los, als hätte er sich verbrannt.
»Was tust du hier?«, fragten wir wieder wie aus einem Munde. Tristans Bruder wütend – ich aufgeregt. Wir verstummten synchron und glotzten uns an. Er grimmig – ich erschrocken.
»Weiß Tristan, dass du hier bist?«
»Ich bin mit Tristan hier!« Auch diese beiden Sätze kamen unisono.
»JA!«
»WAS?«
Gott ... das konnte doch nicht so weitergehen! So würden wir nie ein ordentliches Gespräch zustande bringen. Ich ließ ihm den Vortritt, doch er packte mich unverhofft und schleifte mich hinter sich her in die aus Edelstahl bestehende Küche.
»Wieso bist du mit meinem Bruder hier?«, zischte er mich an. »Wie kannst du es wagen, auch nur in seine Nähe zu kommen?« Oh man ... seine großen blauen Augen blickten mich mehr als wütend an. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er wäre ziemlich furchteinflößend gewesen, wenn da nicht die überdimensionale Kochmütze auf seinem Kopf herum gewackelt hätte.
Ich seufzte. »Das alles war ein ... Missverständnis ...« Wie sollte ich ihm denn das JETZT erklären?
»Was?!«, schrie er. Seine drei Küchenhelfer fuhren zusammen und machten einen weiten Bogen um uns. Auch ich zuckte vor ihm zurück – und vor seinen gerade anschwellenden Muskelsträngen ...
»Wow, wow, wow ... Phil ... schalt eine Stufe runter ...« Tristans athletischer Körper schob sich wie eine Mauer in den engen Raum zwischen seinen cholerischem Bruder und mich.
Sein Ton war sehr kühl ... So hatte ich ihn noch nie mit einem seiner Brüder reden hören. »Wenn sie einer anbrüllt, dann bin ich das – ausschließlich!«
»Sag mal, hast du sie noch alle, du verdammter Idiot?« Phillip konnte es anscheinend nicht glauben, aber das hielt ihn nicht davon ab, Tristan zu schubsen. Zum Glück besaß Letzterer auch ein paar beträchtliche Muskeln, mit denen er standhalten konnte, ansonsten wäre er wohl in mich gekracht. So wurde ich lediglich gegen die Anrichte hinter mir gepresst.
Ängstlich linste ich über seine Schulter. Wieso ich das tat, wusste ich nicht. Denn der Anblick, wie ich mich verängstigt an seinen kleinen Bruder klammerte, brachte Phil noch mehr in Wallung. Ja ... er hatte schon früher ein Problem mit mir gehabt ... nun war dies anscheinend noch etwas größer geworden.
»Du bist doch echt bescheuert! Willst du dich von diesem Flittchen wieder aussaugen lassen? Willst du wieder dasselbe durchmachen? VERDAMMT, TRIS! Sie ist eine kleine manipulative Schlange, die dich mit ihren verdammten Rehaugen wieder eingewickelt hat ... Sie SCHEISST AUF DICH!«
Ich zuckte zusammen ...
»Das reicht!« Tristan bebte. Doch Phil hörte ihn gar nicht.
»Ich würde ihr ins Gesicht spucken, wenn ich könnte! Dann wüsste sie, was sie verdient hat!«
JETZT bekam ich WIRKLICH ANGST!
»PHIL. HÖR. AUF!« Tristan klang wortwörtlich verbissen.
»Wieso aufhören? Das muss gesagt werden! Sie ist nichts WERT! Sie ist ein Stück Dreck! Sie ist ein. Dummer. Hässlicher. TRUTHAHN!«
Tristan machte einen Satz nach vorne. Noch ehe der cholerische Phil sich versah, hatte er ihn im Schwitzkasten gepackt und ich wusste, dass er all seine Beherrschung aufbrachte, um seinem Bruder nicht professionell das Gesicht zu liften.
»Tristan!«, rief ich schockiert.
»Sie ist mein verfickter Truthahn!«, knurrte Tristan sehr, sehr leise.
»EGAL!« Phil schwang sich plötzlich herum, und im nächsten Moment hatte er Tristan mit seinem wuchtigen Unterarm am Hals auf dem Küchentresen festgenagelt. Ein paar Zentimeter von den heißen Herdplatten entfernt.
»Phil! Vorsicht!«, kreischte ich erschrocken.
Beide starrten mich kurz an. Der Koch hasserfüllt, Tristan berechnend. Prompt nutzte er die Ablenkung seines Gegners, um ihn wegzutreten. In den Bauch ... AUA!
Phillip taumelte nach hinten ... geradewegs in einen Schrank. Die darin befindlichen Töpfe und Pfannen fielen scheppernd zu Boden – ich brachte mich schnell ein paar Schritte in Sicherheit. So ungefähr ans andere Ende der Küche.
Mein Herz raste ... Wo war ich hier nur schon wieder reingeraten? UND WIESO kämpfte Tristan meinetwegen mit seinem Bruder? Hätte er keinen anderen Weg finden können? Reden oder so?!
Noch bevor Phil sich wieder aufgerappelt hatte, konnte Tristan ihn festpinnen, indem er seinen Unterarm packte und ihn auf seinem Rücken verdrehte. Der Größere der beiden ächzte vor Schmerzen.
»Sag nie wieder so was über sie!«, wiederholte Tristan etwas atemlos. Sein Bruder knurrte lediglich ...
»Bitte lass ihn jetzt los! Es war ja nicht so schlimm ...«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
Beide im Moment wirklich einschüchternden Männer visierten mich an. Tristan folgte natürlich nicht, als ob er das jemals getan hätte ... bis hinter mir ein Lachen ertönte.
»OHHH ... Jetzt streiten sich auch noch zwei heiße Kerle um dich!« Meine Mutter war eindeutig erfreut über die Show, welche die Wrangler-Brüder unfreiwillig lieferten.
Widerstrebend ließ Tristan seinen Bruder los und klopfte ihm auf die Schulter. Phillip schlug ihm auf den Rücken. Aber so fest, dass Tristan einen Schritt nach vorne taumelte.
»Verdammter Pisser!«, grummelte dieser und rieb sich die misshandelte Stelle. Er kam zu mir und legte bestimmend seinen Arm um meine Schulter.
»Wir gehen jetzt!« Damit wollte er umdrehen und verschwinden, aber Phil rief uns noch hinterher.
»Morgen um 13.00 Uhr. Hier! Mit ihr!« Tristan schnaubte lediglich.
»Komm, Mum!« Ich packte sie am Oberarm und zog sie mit, denn ich nahm an, dass Tristan nicht so bald vorhatte, stehen zu bleiben.
»Darf ich vorne sitzen?«, fragte sie, sobald sie den wunderschönen Audi A7 in Kirschrot erblickte, der glänzend poliert direkt vor der Tür stand – auf dem Teppich des Eingangs!
»Nein!«, stieß Tristan im selben Moment hervor, in dem ich »Ja ...« brummte.
Seufzend öffnete er ihr die Tür.
Sie kletterte auf den Sitz und freute sich wie ein Kind an Weihnachten. Ja ... Luxus ... damit konnte man meine Mutter WIRKLICH glücklich machen. Mit nichts anderem ... Traurig aber wahr!
Tristan hielt auch mir die Tür auf – die hintere – und half mir beim Einsteigen. Mit einem kurzen Blick versicherte er sich, dass mit mir alles in Ordnung war, dann stieg er elegant ein und parkte rückwärts aus, wobei die schimpfenden Passanten zur Seite springen mussten, wenn sie nicht überfahren werden wollten.
Erschöpft lehnte ich meine Stirn gegen die Scheibe und dachte darüber nach, dass ich morgen offenbar den übrigen Teil seiner Familie treffen würde. Wie sie wohl reagieren würden? Würden sie mich gleich köpfen? Würden sie mich aus dem Land jagen? Mit Mistgabeln und Fackeln?
Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich zuerst gar nicht merkte, wie sich meine Mutter zu Tristan rüberbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Gerade wollte ich protestierend eingreifen, denn ich konnte genau sehen, wo ihre Hand ihn berührte, da trat er plötzlich mit so einer Wucht auf die Bremse, dass ich mit dem Gesicht in den Sitz vor mir geschleudert wurde.
»Autsch!« Zitternd stützte ich mich mit beiden Händen ab und wollte sie trotzdem anschreien, als Tristan diese Aufgabe übernahm.
Viel besser als ich es gekonnt hätte: »DEINE TOCHTER sitzt auf der Rückbank! Ich bin der Freund DEINER TOCHTER! Deiner Tochter, für die du dir nur das Beste wünschen solltest! Deine Tochter, die verfickte Scheiße noch mal so bezaubernd ist, dass du sie lieben und verehren solltest, verdammt noch mal! Ich habe keine Ahnung, wie so etwas Gewissenloses wie du einen solchen Menschen erschaffen konnte! Aber ich bin froh, dass sie es fertiggebracht hat, sich gegen deinen abgefuckten Einfluss zu wehren! Und ich würde dir raten, mich nicht noch einmal anzutatschen!«
Meine Mutter starrte ihn nur an – genauso wie ich. Tristan funkelte sie rasend an, als er ein Scheckbuch aus seinem Handschuhfach hervorriss.
»Du bist hier wegen Geld – du sollst Geld haben! Und dann lassen du und dein gehirnbeschränkter Ehemann die Finger von ihr, VERSTANDEN? Verdammte Scheiße, ich hab von eurer elendigen Sippe die Schnauze voll! Aber diesmal macht ihr mir keinen verfickten Strich durch die Rechnung!« Währenddessen kritzelte er wild in dem Scheckbuch rum.
»Wieso sollte ich sonst hier sein?« zischte sie zurück und irgendwas in ihrem Ausdruck war versteinert. »Glaubst du etwa, ich bin hier, wegen dem Haufen Schei...« Weiter kam sie nicht, weil Tristan ihren Hals packte und ihren Kopf zu sich riss. Keuchend verstummte sie, als er sich zu ihr lehnte, sodass ihre Nasen sich beinahe berührten.
Ich war wie erstarrt.
»Wage es nicht!« Er betonte jede einzelne Silbe. Sie erschauerte sichtlich und nickte hektisch. Tränen liefen über ihre Wangen. »Wage es nicht, sie noch einmal zu beleidigen. Denn der einzig anwesende Haufen Scheiße bist du!«
Jetzt funkelten ihre Augen. Aufmüpfig ... »Ich werde euch meinen Mann auf den Hals hetzen!«
Ziemlich hysterisch lachte ich auf. Tristan ließ abrupt von ihr ab. Aber nicht, ohne auch zu lächeln – eiskalt.
»Ich werde ihn mit größter Freude erwarten!« Seine Augen glitzerten nun so verlangend, wie sie es sonst nur taten, wenn er meine Pussy ansah.
»Sag ihm, Tristan Wrangler richtet ihm einen schönen Gruß aus ...« Während er ruhig sprach, kritzelte er weiter auf seinem Scheckbuch herum. Ihre Augen weiteten sich, als er seinen Namen nannte. »Und sag ihm auch, dass Mia Marena mir gehört! Für fucking immer!« Er riss eine Seite aus seinem Büchlein und schleuderte sie ihr an die Brust. »Er kann gerne kommen, denn ich habe mit ihm noch eine Rechnung offen. Aber dich will ich nie wieder in der Nähe von Mia sehen. DU hast schon genug Schaden angerichtet. Und jetzt verpiss dich aus diesem Auto, bevor ich mich verdammt noch mal vergesse!«
»A ... aber meine Sachen sind bei ...«
»RAUS!« Tristan sprach diese vier Buchstaben so leise und bedrohlich aus, dass sie sofort das kleine Blatt Papier ergriff und förmlich aus dem Wagen stürzte.
Ich konnte nicht glauben, dass es so einfach gewesen war, sie loszuwerden ... Na ja einfach ... Für mich! Ich hatte nur stillschweigend hier gesessen und drei Dinge empfunden.
Erstens: Faszination.
Zweitens: Genugtuung.
Drittens: Schuld.
Faszination, weil Tristan so unglaublich sexy wirkte, wenn er so stark und so autoritär war und jeden genau spüren ließ, dass es ihn einen Fuck scherte, was er von ihm dachte ... So von sich selbst überzeugt ... und das mit Grund!
Genugtuung, weil sie endlich einmal das bekommen hatte, was sie verdiente ... Von einem Menschen, dem sie gefallen wollte.
Und Schuld, weil ich Genugtuung empfunden hatte, als meine eigene Mutter mal diejenige war, die fertiggemacht wurde.
Ich konnte es nicht glauben, dass sie ohne einen Blick auf mich aus dem Auto schlüpfte, und die Tür hinter sich zuschlug. Passenderweise regnete es inzwischen in Strömen und wir sahen uns noch einmal in die Augen, als sie wie der begossene Pudel in der kalten Nacht zurückblieb.
Tristan drückte das Gas durch und raste los. An der Art, wie er das Lenkrad umklammerte und wie er seine Kiefer aufeinanderpresste, bemerkte ich, dass er nach wie vor wütend war.
»Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn sie so über dich reden ... Verdammte Scheiße ... verdammt noch mal ... Das nächste Mal bring ich sie um ...«, murmelte er absolut rasend vor sich hin, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte ... Ich wusste nur, dass man ihn in einer solchen Verfassung besser in Ruhe ließ. Daher lehnte ich mich auf meinem Sitz zurück, um mich irgendwie ein wenig zu entspannen. Erschöpft schloss ich die Lider und atmete tief durch, versuchte zu verarbeiten, was soeben geschehen war und zu ergründen, was das zu bedeuten hatte ...
»MIA!«, brüllte er mich plötzlich an, und ich richtete mich so heftig auf, dass ich mir oben fast den Kopf anstieß.
»Ja?«, erwiderte ich gehetzt.
Seine Augen funkelten mich düster im Rückspiegel an. »Geht’s dir gut?«
Ich lächelte schwach. Mit der Frage hätte ich jetzt nicht gerechnet. Wirklich nicht ...
»Ja, Tristan ...« Mein strahlender Held mit dem knallroten Audi und den dreckigen Gedanken, gab ich in meinem Kopf noch dazu und musste verträumt lächeln. Denn dass er genau das mittlerweile wieder war, hatte er soeben sehr eindrucksvoll bewiesen. »Dass du mich so verteidigt hast, war sehr nett von dir, aber du hast meinem Vater praktisch eine Einladung geschickt ...«, fiel mir dann ein, und das Lächeln verschwand sofort von meinem Gesicht.
»Ich weiß ...«, antwortete er ruhig.
»Aber Tristan ...«
»Hör auf, hier lächerliche Panik zu verbreiten, Mia. Ich weiß, was ich tue.«
»Aber ...«
»Fick auf ›Aber!‹«, blaffte er. »Er wird bekommen, was er verdient! Und dieses Mal werde ich mich nicht so stümperhaft anstellen wie vor acht Jahren!«, fügte er so leise brummend hinzu, dass ich es kaum verstand.
Abermals schloss ich die Augen und ließ mich in seinem Sitz zurückfallen. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist ...«
»Mach dir um dich keine Sorgen, ich überwache deine Wohnung. Außerdem werde ich ein Sicherheitsschloss einbauen, das nicht so ohne Weiteres zu knacken ist. Er wird nicht an dich herankommen. NIE WIEDER! Der Pisser wird dafür büßen, was er uns angetan hat ...«
»Du glaubst mir also?« Mein Herz schien vor Hoffnung lichterloh zu brennen.
»Nein!«, stieß Tristan sofort hervor und die Flammen erloschen. »Dennoch ist er ein sadistischer Wichser, und ich weiß, dass ich der restlichen Menschheit auf diesem Planeten einen Gefallen tue, wenn er ein für alle Mal verschwindet!«
»Tristan ...«
»Ja, ja ...« Er winkte ab und bog nach rechts. Zu meiner Enttäuschung bemerkte ich, dass wir schon bei mir daheim waren.
MIST! Ich hatte gehofft ... er würde mich noch etwas um den Verstand bringen. Auf die gute alte Tristan-Sexgott-Art ... Aber nichts da.
Er blieb in der zweiten Reihe stehen und stieg aus, um mir die Tür zu öffnen.
Wortlos stellte ich mich vor ihn. Schaute zu ihm hoch und bewunderte die Makellosigkeit seines Gesichtes, das gerade ziemlich distanziert auf mich herabsah.
»Was ist das jetzt zwischen uns Tristan?«, fragte ich ... es war weniger als ein Wispern, denn ich hatte vor seiner Antwort eine Heidenangst.
In Tristans Augen blitzte etwas auf, was sehr schnell wieder vorbeizog. Etwas von seinem alten Blick und es erfüllte mich erneut mit Hoffnung. Er starrte mich noch ein paar Sekunden unergründlich an, dann seufzte er tief, und mit einem Mal lag seine Hand an der Seite meines Halses und sein Daumen streichelte mich dort, wo mein Puls raste. Ich erschauerte, auch wenn seine Haut warm und weich war.
»Ich weiß es nicht ...«, flüsterte er fast genauso gebrochen zurück.
»Was wirst du deiner Familie sagen?«
»Ich habe keine Ahnung ...«
»Glaubst du mir, Tristan?« Das klang total eindringlich.
Er zuckte mit den Schultern.
Okay ... heute Abend würde er mir wohl keine andere Antwort mehr geben, aber das war wenigstens kein nein!
Seufzend schloss ich die Augen und genoss einfach nur seine Berührung, denn ich wusste, mehr würde ich nicht bekommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar Kälteschauern meinerseits sprach er wieder.
»Geh rein!«
Ich öffnete die Lider und ärgerte mich, weil ich sie nicht die ganze Zeit offen gelassen hatte. Wie konnte ich nur eine Sekunde NICHT damit verbringen, ihn anzusehen. Manchmal war ich wirklich eine dumme Kuh!
Er löste seine Hand von mir, aber nicht, ohne den verrutschten Träger meines Kleides hochzuschieben, sodass er wieder auf meiner Schulter lag. Ich lächelte ihn an, denn das war echt süß.
Er verdrehte die Augen und trat galant zur Seite, um mir den Weg frei zu machen.
Ich ging ... Sehr schweren Herzens. Aber ich ging ...
Als ich oben in meiner Wohnung ankam und mich auf meine Couch setzte, an der immer noch das ekelhaft süße Parfum meiner Mutter klebte, fiel mir etwas ein. Ich rannte zum Fenster, aber ich sah gerade noch, wie der Audi davondüste.
Mist!
Also packte ich mein Handy und tippte ein. ›Wie viel hast du meiner Mutter eigentlich gezahlt, damit sie mich in Ruhe lässt?‹ Mit feuchten Fingern streichelte ich meinen Chihuahua Stanley, der mich schwanzwedelnd begrüßte. Die Antwort kam sehr schnell und sie schockte mich so sehr, dass ich die Nacht fast kein Auge zubekam.
›50.000 ... Ich wünsche angenehme feuchte Träume!‹
OH. MEIN. Tristan!
Als ich die Augen aufschlug, war ich im ersten Moment ziemlich orientierungslos.
Wo war ich? Wieso war mir so heiß? Und warum roch es hier so ungewohnt ...?
Nach einigen Sekunden lüftete sich jedoch meine Verwirrung.
Ich lag in Robbies Bett in jenem Kinderheim, in dem ich auch arbeitete. Unter zwei dicken Decken begraben, blickte ich geradewegs auf das süßeste Bild, das sich mir bieten konnte: Tristan Wrangler – mein persönlicher Sexgott, seitdem ich denken konnte – saß immer noch auf einem weißen, abgewetzten Schaukelstuhl in der Ecke des Raumes. Über ihm lag eine kleine Decke ... die so gut wie nichts brachte, weil sie nur seinen Bauch bedeckte. Ich wusste sofort, dass ausschließlich Robbie auf so eine liebenswerte aber unnütze Idee kommen konnte.
Der sechsjährige Engel thronte auf einem winzigen Hocker vor Tristan, die Ellbogen auf seinen Knien abgestützt, das Kinn auf den putzigen Händchen, während die beiden in ein Gespräch vertieft waren.
Tristan lachte gerade leise und mein Herz ging auf, denn dieser Ton war leider immer noch viel zu selten. Er verwuschelte Robbie die feinen hellen Haare, bevor er ihm seine große Hand hinhielt.
»Abgemacht Chef!«
»Wirklich?« Ich wusste, wie Robbies Augen strahlten, wenn er so klang.
»Ja, wirklich«, verkündete Tristan immer noch glucksend und schüttelte die kleine Hand.
»JAAAAAAAAAAAAAAAA!«, rief Robbie aus und beide blickten sofort alarmiert zu mir.
Ich lächelte sie an und gab ihnen damit zu verstehen, dass sie mich nicht geweckt hatten.
»Was heckt ihr schon wieder aus?«, fragte ich und streckte mich träge. Ich bemerkte genau, wie Tristans Blick ausgiebig auf meinen Brüsten verweilte, bevor er mir unschuldig ins Gesicht sah und mit den Schultern zuckte.
»Nichts.«
»Das ist ein Geheimnis!«, setzte Robbie noch hinzu, dessen Wangen schon um einiges rosiger wirkten als gestern Nacht.
Gestern Nacht, als ich solche Angst gehabt hatte.
Zum einen um Robbie, der sich anscheinend eine Magen-Darm-Grippe oder Lebensmittelvergiftung zugezogen hatte, und zum anderen davor, dass Tristan tatsächlich gehen würde ...
Doch in Bezug auf Tristan Wrangler hatte sich etliches geändert! Wir hatten eindeutig Fortschritte gemacht, denn immer mehr von dem alten Tristan, der vor acht Jahren mein persönlicher Held mit dem knallroten Audi und den dreckigen Gedanken gewesen war, kam durch ...
Und er schien nichts dagegen zu haben!
***
Als er mich nach Hause fuhr, dachte ich über die Ereignisse der letzten Wochen ausgiebig nach.
Unser erstes Treffen bei seiner Fotoausstellung; unser erster Sex – so brutal und gefühllos und doch irgendwie berauschend; der Vertrag, der nie wirklich ganz eingehalten worden war; seine kühle, unnahbare Art, jedoch auch die Momente, in denen er weich geworden war und mich an sich rangelassen hatte. Bis hin zu der Reise nach Prag und unserer Aussprache auf dem Aussichtsturm Petrin.
EVA EBER!
Und seine Beichte, dass ich in all der Zeit die Einzige für ihn gewesen war, neben seinem Versprechen, dass er nicht mehr SO zu mir sein würde.
Aus irgendeinem Grund war er sehr schweigsam und in sich gekehrt, während er sich offensichtlich auf die Straße konzentrierte – kein Durchkommen möglich. Allerdings war das nicht ungewöhnlich, was mir die Gelegenheit gab, weiterhin meinen eigenen Grübeleien nachzuhängen.
Ich dachte genauer an gestern Nacht und als Erstes fiel mir auf, dass Tristan meine Küsse in der Quelle zugelassen hatte, obwohl es eigentlich gegen die Regeln des Vertrages verstieß, den er mir gleich zu Beginn unserer ›Beziehung‹ vorgelegt hatte. Meine Lippen hatten tatsächlich seine perfekten Muskeln unter seiner duftenden Haut berühren dürfen! Und er schien nicht mal gemerkt zu haben, dass ich damit knallhart die heiligen Gesetze des Gottes missachtet hatte. Wahrscheinlich war er so von der Lust berauscht gewesen, dass er alles andere vergessen hatte – wie es mir auch so oft geschah, wenn wir intim wurden.
Aber das war nicht alles!
Gestern war er so anders gewesen! So sanft – ein wenig so wie früher. Er hatte mit mir gescherzt, gelacht und mit mir gespielt, was mich aber keineswegs eingeschüchtert hatte.
Doch das war sicher nur auf sein schlechtes Gewissen wegen Eva Eber zurückzuführen!
Vielleicht aber auch auf die Tatsache, dass ich ihn fast verlassen und ihm somit klargemacht hatte, dass er mich tatsächlich verlieren könnte. Das wollte er nicht, weil der alte Tristan mich immer noch liebte und für uns kämpfte. Tief drinnen, verborgen unter dem ganzen Hass ... unter dem ich ihn immer mehr hervorholte.
Möglicherweise hatte er sich deswegen die restliche Nacht um Robbie gekümmert, und ganz bestimmt fühlte ich mich genau aus diesen Gründen am heutigen Morgen so unsagbar glücklich.
Sehnsüchtig wandte ich ihm meinen Kopf zu und beobachtete sein markantes Profil und den ausgeprägten Kiefer, der so sexy aussah und mich immer magisch anzog und aufforderte, mit den Fingerspitzen oder meinem Mund daran entlang zu gleiten. Seine vollen Lippen, die so unsagbar gut küssen konnten ... seine männlichen, schönen Hände, von denen eine auf der Schaltung lag und die andere locker das Lenkrad festhielt.
Wie üblich entging Tristan nicht, dass ich ihn anstarrte, denn er sah mich an.
»Was?«, fragte er knapp, aber nicht unfreundlich.
»Nichts«, antwortete ich schüchtern und errötete, weil er mich beim Schmachten erwischt hatte – mal wieder!
Natürlich genügte ihm das nicht. »Nichts?«
Ich verdrehte die Augen. »Ich habe nur wieder mal dein hart erarbeitetes Aussehen bewundert«, gab ich also zu, denn ich wusste, er würde nicht locker lassen.
»Ach so das«, winkte er ab. Dann schmunzelte er. »Gefall ich dir jetzt besser als früher? Als reifer starker Mann?« Er zog mich auf – eindeutig. »Jetzt kann ich dich in jeder möglichen Position ohne Probleme halten. Kennst du die hängende 69 eigentlich schon?« Ich wurde knallrot.
»Oh man, Tristan ... Du bist zwar vom Aussehen her reifer, was ich übrigens wahnsinnig sexy finde, aber dein Mund ist noch immer so verdorben wie mit achtzehn ...«
»Und das finden Sie etwa nicht sexy, Miss Angel?«, erkundigte er sich abschätzend.
»Doch«, erwiderte ich kleinlaut und rutschte auf meinem Sitz herum, weil ich vom erotischen Klang seiner Samtstimme unsagbar heiß wurde. Außerdem hatte er mich wieder Miss Angel genannt! Nicht Mia Marena!
»Überschwemme ich gerade Ihr Höschen?«, bohrte er weiter und das mit dem größten Vergnügen.
»Nein!« Ich hörte auf mich zu winden, und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Ich bin nicht mehr so leicht zu reizen wie früher. Du musst nicht mehr nur mit den Fingern schnipsen, um mich kurz vor den Orgasmus zu bringen!« Oh man ... ich lehnte mich mit meiner Lügerei sehr weit aus dem Fenster, aber er war so schrecklich selbstüberzeugt und arrogant! Was er auch sein durfte, denn es war begründet, aber egal.
»Nein, mit den Fingern muss ich dafür tatsächlich nicht schnipsen, wobei das so auch nicht ganz stimmt. Ich weiß von Stellen an deinem Körper, da genügt das völlig. Aber meist reicht es schon, wenn ich dir die richtigen Bilder in deinen versauten Kopf pflanze. Soll ich?«
»NEIN! Ich habe heute vielleicht noch was zu tun! Eventuell muss ich sogar mit schweren Maschinen hantieren und ganz sicher Messer gebrauchen!«
Jetzt lachte er wirklich.
»Halt den Mund!« Und ich schmollte auch wirklich!
»Darf ich dann ebenfalls nicht sagen, dass ich dich scharf wie die Hölle finde, beim Gebrauch von schweren Maschinen? So ein Bagger oder Kran ... am besten in Latzhose und sonst nichts ...«, säuselte er.
Ich schnaubte. »Eigentlich meinte ich den Rasenmäher ...«, woraufhin er lauter lachte. Doch bevor wir dieses befreiende Geplänkel ausweiten konnten, bei dem ich mich fühlte wie damals – einfach nur glücklich –, waren wir auch schon angekommen! Und leider ... musste ich jetzt nach Hause und mich von ihm trennen ...
Als würde er mich auch noch nicht verlassen wollen, verlängerte er unsere Zeit tatsächlich noch um ein paar Minuten, indem er mich begleitete. Beim Hochgehen stolperte ich fast über drei knallpinke Koffer, die vor den Briefkästen standen, und er fing mich kopfschüttelnd am Arm auf – mal wieder.
Vor meiner Wohnungstür blieben wir stehen. »Also ...« Ich kaute auf meiner Lippe rum und betrachtete den Teil Brustmuskel, der nicht von seinem schwarzen Hemd verdeckt wurde.
»Ja?« Er legte seinen Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, sodass ich in diese bodenlosen grünbraunen Tiefen fiel.
»Ja ...«, hauchte ich.
»Ich werde jetzt gehen ...« Sein Daumen strich über meine Unterlippe und ich bildete mir ein, dass er mit sich kämpfte, mich nicht zu küssen.
»Hm-hm ...« Ich streckte meine Lippen unauffällig ein Stückchen vor, weil ich wusste, dass sie so voller aussahen.
»Wir sehen uns ...« Wie gebannt starrte er meine Lippen an – ich seine genauso.
»Hm-hm ...«, summte ich erneut und stellte mich noch unauffälliger auf die Zehenspitzen.
Tristan beugte sein Gesicht herab. Ganz langsam, wie hypnotisiert.
»Was hast du nur schon wieder mit mir gemacht, dass ich an nichts anderes denken kann als an dich ...«, flüsterte er.
OH MEIN TRISTAN!
Ich fühlte und schmeckte seinen minzigen Atem auf meinem Mund und seufzte.
»Dasselbe, was du mir antust ...«
Nur noch ein paar Millimeter trennten mich vom Paradies. Nur noch ein Atemzug ... Ich schloss die Augen und klammerte mich an seinen Unterarmen fest. Seine Hände lagen plötzlich auf meinen Wangen, hielten mich, als bestünde ich aus teurem zerbrechlichem Porzellan ...
»Tristan ...«, hauchte ich und erwartete, dass es nun endlich geschehen würde.
Aber nichts da ...
Jemand kam die Treppen hochgestöckelt und wir sprangen auseinander. Als ich erblickte, wer uns unterbrochen hatte, erfror ich auf der Stelle.
»OHHHH WOAAAAH!«, rief die helle Stimme aus, und ehe ich mich versah, befühlte eine Hand, die nicht meine war und somit nicht dorthin gehörte, fachmännisch Tristans Bizeps.
»ER HAT MUSKELN AUS STAHL!« Rote lange Fingernägel brannten sich in meine Optik. »OH ... ein Achtpack, oder?!«, trällerte sie ohrenbetäubend laut. Ich konnte im ersten Moment nur starren, genau wie Tristan.
»Wieso weiß ich nicht, dass du mit so einem Adonis zusammen bist? Der ist ja besser als Ian Somerhalder und Channing Tatum zusammen. Der ist sogar noch besser als Robert Pattinson! Oh, und diese breiten Schultern ... er trainiert sicher täglich ...«
»Mum, hör auf ihn zu betatschen!« Damit packte ich ihre Hände, die ihm gerade an den Arsch fassen wollten, und zog sie von Tristan weg.
»Mum?«, wiederholte er hohl.
»Ja, Mum!«, stieß ich aus und schaute sie mir genauer an. Seit etwa sieben Jahren hatten wir uns nicht mehr gesehen, trotzdem konnte ich mich an ihren Look nicht gewöhnen, denn sie hatte sich in der Zeit kein bisschen verändert.
Neben dem sehr kurzen rosa Jeansrock trug sie ein hellblaues Oberteil. Tausende Ketten hingen um ihren Hals, Ringe an ihren Ohren und Armbänder um ihre Handgelenke. Die Haare hatte sie hellbraun gefärbt, mit diversen blonden Strähnen darin, und das Ganze zu einem merkwürdigen Gebilde toupiert, was sicherlich nur mit einer Dose Haarspray hielt. Kurzum: Meine Mutter sah aus wie ein Streifenhörnchen. Um die zu stark geschminkten Augen hatten sich mit den Jahren kleine Lachfältchen gegraben, die sie aber nicht weniger attraktiv machten. Ihre dunkelschwarzen Wimpern waren eindeutig aufgeklebt und die Lippen rot geschminkt. Die weißen Zähne dahinter waren aufgebleicht. Ihre hohen Wangen schimmerten in starkem Rouge ... im Großen und Ganzen war sofort zu erkennen, dass meine Erzeugerin immer noch sehr auf ihr Aussehen achtete – zu sehr! Mir widerstrebte es zwar, allein diese Gedanken zu hegen, aber sie wirkte wie die personifizierte Schlampe und hatte damit enorme Ähnlichkeit mit Eva Eber, deren Bild sich vermutlich als Veranschaulichung für den Begriff ›Oberschlampe‹ durchgesetzt hatte.
Mittlerweile hatte ich, trotz des Vorsatzes, jedem Menschen ohne Vorurteile zu begegnen, eine tiefe Abneigung gegen solche Frauen entwickelt, aber wie auch nicht?!
Alles an ihr wirkte falsch, ob es nun ihr Charakter, ihre Brüste oder ihre Nase waren, von der ich mich fragte, wie sie diese finanziert hatte.
Ihre Figur war schlank, jedoch gut proportioniert und wurde durch die Solariumbräune unterstrichen. Die Beine steckten in weißen Stiefeln mit mörderischem Absatz. Ihre Aufmachung schummelte locker zehn Jahre weg, trotzdem war das Ergebnis keineswegs liebenswert.
Ich wollte mit ihr nichts mehr zu tun haben, und auch wenn es hart war, so hatte ich für sie nur noch Verachtung übrig.
»Was machst du hier?«, fragte ich und konnte die Abscheu nicht aus meiner Stimme vertreiben. Ich wollte sie hier nicht haben!
Sie lächelte spöttisch und nahm ihren aufdringlichen Blick für keine Sekunde von Tristan, von dem sie wiederum ziemlich überheblich bis leicht angewidert und etwas verstört betrachtet wurde.
»Martin Schmitt hat sich in der Stadt ein neues Konto bei der Bank einrichten lassen, und rate mal, wer sein Berater ist. Dieser heiße Bursche!« Sie wollte erneut nach Tristan greifen, aber er wich einen Schritt zurück.
»Lass die Finger von mir, Frau!«
Nachdem sie laut aufgelacht hatte, redete sie weiter, als wäre nichts geschehen. Genau genommen plapperte sie ohne Punkt und Komma. »Sie haben sich über ihre Freundinnen unterhalten, und rein zufällig fiel dein Name. Martin hat mich natürlich sofort angerufen, um mir zu sagen, wo du zu finden bist ... und ich habe mir gedacht, ich schau mal nach meinem Baby ... Ich konnte es nicht glauben, dass gerade DU mit deinem doch eher durchschnittlichem Aussehen, dir einen waschechten Bankmanager geschnappt hast ... und jetzt, wo ich IHN SEHE ... kann ich es noch weniger glauben. Wie hast du das angestellt?! Na ja ... Aber wenigstens bist du nicht mehr so eine Wuchtbrumme wie früher ... Deswegen ganz sicher! Wobei ... deine Titten haben ja auch ziemlich unter deiner Abnehmerei gelitten. Vielleicht zahlt dir dein Hauptgewinn ja eine kleine OP, damit du endlich mal aussiehst wie eine anständige Frau ... und was hast du nur mit deinen Haaren gemacht? Die sind so trocken! Nimmst du keinen Hitzeschutz? Sieht nicht so aus, eher als ...«
»Hör auf!« Ich hatte mittlerweile Tränen in den Augen, weil ich es nicht mehr gewöhnt war, so gedemütigt zu werden, und das auch noch vor Tristan, der wohl das erste Mal in seinem Leben wirklich sprachlos neben uns stand.
Unbeeindruckt wandte meine Mutter sich ihm zu, senkte ihre Lider, leckte sich über die Lippen, streckte ihre Brüste raus – schaltete also auf Jagdmodus – und zog aus ihrer Tasche eine Visitenkarte, die sie ihm unter die Nase hielt, während sie sich lasziv an ihn lehnte.
»Wenn du mal Lust auf wirklichen Spaß hast, dann melde dich bei mir.«
»Nein, DANKE!« Tristan betonte seine Worte und schob angewidert ihre Hand weg. Sie ließ sich nicht beirren ...
»Ich bin für alles offen.«
Tristan tat, als würde er würgen. Sie säuselte trotzdem weiter.
»Außerdem habe ich Erfahrung, Süßer. Erfahrung, von der sie nur träumen kann ... Ich kann Dinge mit dir anstellen, von denen hat das kleine Mäuschen hier keine Ahnung! Mia, du hast doch nichts dagegen, ihn mir mal auszuleihen, oder?«
»HAT SIE!«, stieß Tristan hervor. Ich war derart überwältigt von so viel Dreistigkeit, dass ich nichts sagen und nichts tun konnte, um ihn zu verteidigen. Das Schlimmste ... sie hatte womöglich recht ... Nein, sie hatte recht, und sie schaffte es immer, mein Selbstbewusstsein zu zerstören. Das hatte sie schon getan, als ich ein Kind war, und jetzt klappte es genauso perfekt. Ich fühlte mich klein und wertlos und wollte nur noch im Erdboden verschwinden oder mich anderweitig verkriechen, doch ich kam nicht weg. Panik machte sich in mir breit. Die Luft ging mir aus und es wurde alles so eng ...
»Mia-Baby ...«, raunte Tristan plötzlich in bester Ich-schwemme-dein-Höschen-weg-Manier. Ohne Vorwarnung nahm er mein Gesicht wieder zwischen seine Hände, drängte meine Mutter aus dem Weg, drückte mich gegen die Wand hinter mir und presste sich an mich. Ich fühlte sofort, wie es verlangend in seiner Hose zuckte. Verlangend nach MIR!
»Lass das!« Somit beugte er sich herab und gab mir ohne Vorwarnung einen winzig kleinen Kuss auf die Lippen. Diese zaghafte Berührung schoss wie ein Elektroschock durch meinen Körper. Ich keuchte auf, krallte mich in seine Hüften und schmiegte mich eng an ihn. Wo eben noch das blanke Chaos in mir getobt hatte, wurde es nun durch Sehnsucht und sogar Glück ersetzt. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und marschierte davon. Im Gehen zerriss er die Karte meiner Mutter und schmiss sie achtlos auf den Boden. Ich starrte ihm benebelt hinterher, fasste mir langsam an meine Lippen und konnte nicht glauben, dass Tristan Wrangler gerade seine Lippen auf meine gelegt hatte.
Er hatte mich geküsst. Ganz von alleine!
Als mir das klar wurde, lächelte ich, trotz seines plötzlichen Abgangs, und ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus, das nicht einmal meine Mutter mit ihrer kalten, grausamen Art zerstören konnte.
»Also du musst mir alles von Francesco erzählen«, plapperte die schon wieder los, als wäre nichts geschehen. »Ihr seid ja schon irgendwie süß zusammen, aber ich bin mir sicher, dass er andere fickt ...«
Ich verdrehte die Augen. »Mum, was willst du hier? Jetzt im Ernst!«
Schwerfällig ging ich vor, sperrte auf und trat in meine Wohnung. Sie folgte wie ein Dackel.
»Also ... ähm ...«, druckste sie rum, während ich sie genervt abwartend anschaute und mir die Schuhe auszog.
»Ich möchte auch in die Stadt ziehen. Das mit deinem Vater ist mir einfach zu viel geworden ... Ich bin jetzt seit zwei Wochen clean, weißt du ... und mein Therapeut hat mir geraten, das Umfeld zu wechseln. Dann hörte ich von dir und dem reichen Banker, und dachte mir ... ihr könntet mir vielleicht den Aufenthalt in einer Entzugsklinik zahlen. Dort dürfte ich auch gleichzeitig einen wohlhabenden Mann finden und der Käse hat sich gegessen!«
»Der Aufenthalt ist umsonst!«
Sie lachte.
»Ich geh doch nicht in irgendeine Klinik!«
»Nur weil mein Freund Geld hat, heißt es nicht, dass ich es ausgebe, als wäre es meins, Mum.«
»Na ja. Dein Vater hat sich so gefreut, als ich ihm von dir und Francesco erzählt habe.« Sie zog mich zur Couch. Allein bei der Erwähnung von Harald Engel sammelte sich Schweiß auf meiner Stirn und das wusste sie genau!
»Du hast es Dad erzählt?«
»Ja, natürlich! Er will ja nicht, dass du noch einmal an so einen gerätst wie diesen Drustan.«
»Tristan, Mama ...« Mist! Mist! Mist! Okay ... also war Tristan jetzt einfach mal Francesco ... Denn wenn ich ihr die Wahrheit erzählen würde, wüsste mein Vater schneller davon, als mir lieb wäre ... und er würde schneller hier herkommen, als ich Tristan warnen könnte.
»Wie auch immer. Dieser Francesco ist sowieso das Beste, was dir passieren konnte ...«
»Hm-hm ...«
»Wann gehen wir zusammen essen? Ich will ihn richtig kennenlernen!«
»DAS geht nicht!«, wehrte ich entschieden ab.
»Warum? Will er etwa nicht mit seiner Schwiegermutter Bekanntschaft schließen? Oder muss ich erst deinen Vater holen, um ihm Manieren beizubringen?«
»NEIN!« Nicht mein Vater! Bloß nicht den! Er hatte schon einmal alles zerstört. Und es reichte bereits, dass ein Elternteil hier war!
»Also morgen Abend passt mir gut«, verkündete sie süffisant. »Und dann können wir doch gleich mal über meinen Klinikaufenthalt reden. Aber vielleicht bleibe ich auch einfach für immer bei dir. Deine Wohnung ist zwar hässlich, aber ich kann ja Hand anlegen, dann wird’s schon ...« Ja, mit deiner Hilfe werde ich sicher schön im Müll ersticken ... dachte ich sarkastisch. Meine Mutter zog sich den Lippenstift nach, während ich mich neben sie auf die Couch setzte und das Handy aus meiner Tasche kramte.
Ich schrieb Tristan.
›Ich brauche deine Hilfe ...‹, und schickte es weg, ehe ich es mir anders überlegen konnte.
›Darauf habe ich gewartet ;)‹, schrieb er umgehend zurück, und noch bevor ich den untypischen Smiley verkraftet hatte, grapschte meine Mutter schon nach meinem Handy.
»Wem schreibst du?«
»Geht dich nichts an!« Eilig riss ich den Arm hoch und ging in die Küche um Wasser für Tee aufzusetzen.
›Ich muss sie wieder los werden, Tristan!‹ Ich fühlte mich schlecht, als ich ihm das textete. Aber gleichzeitig wusste ich, dass er der einzige Mensch war, der mich in der Hinsicht verstehen würde, schließlich kannte er meine Vergangenheit zu gut.
›Ich weiß.‹
›Wirst du mir helfen?‹ Ich spähte ins Wohnzimmer und sah, dass sie es sich mit der Fernbedienung auf der Couch gemütlich gemacht hatte. Ihre langen, rot lackierten Fußnägel glänzten im Licht des Fernsehers und ich wandte mich ab ... Schon als Kind hatte ich ihre Füße gehasst ... wieso auch immer.
›Was muss ich tun? ‹, kam seine Antwort. GOTTSEIDANK!
›Erst mal musst du so tun, als wärst du Francesco ...‹ Ich zerkaute mir die Fingernägel, als ich auf seine Antwort wartete.
›Ich bin kein verdammter Kleinschwanz!‹
›Tristan, bitte! Sonst wird sie rausfinden, wer du wirklich bist, und dann wird sie es meinem Vater sagen und dann kommt er her!‹ Ich wusste, dass er das genauso wenig wollte wie ich.
›Sonst noch was? Soll ich für sie Striptease tanzen ... oder gleich mit ihr ficken?‹ Oh, okay ... JETZT war Tristan sauer.
›Nein ... du musst nur morgen Abend mit uns essen gehen! Bitte, Tristan ... Du bist der Einzige, der mir helfen kann, sie wieder loszuwerden. Tust du es, werde ich machen, was immer du verlangst ...‹ Ich fühlte mich schlecht, ihn nach Hilfe zu fragen ... Besonders nach unserer Vergangenheit, aber andererseits wusste ich, dass er mich nicht im Stich lassen würde. Tristan war ein großzügiger und hilfsbereiter Mensch. Außerdem würde ich mich revanchieren. Egal wie. Das wusste er und daraus würde er auch seinen Nutzen ziehen. Er schrieb trotzdem nicht sofort zurück und ich wurde immer nervöser, während ich zwei grüne Tees zubereitete. Ich wollte meine Mutter zwar nicht hier haben, aber rausschmeißen konnte ich sie auch schlecht ... Und ich war gastfreundlich, egal wie verhasst mir die Gäste auch waren.
Würde er mich vielleicht doch hängen lassen?
Als die Nachricht kam, stiegen mir vor Freude die Tränen in die Augen.
›Was tut man(n) nicht alles für sein gottverdammtes Mädchen, mit der Psychomutter ...‹ SEIN GOTTVERDAMMTES MÄDCHEN!
Ihm war es nicht klar, aber er nannte mich immer öfter Mia, Baby oder noch besser Mia-Baby, und jetzt war ich schon wieder sein Mädchen, und nicht mehr seine Schlampe. Inzwischen hätte ich vor Freude gern auf dem Tisch getanzt!
Auf diese Nachricht gab es für mich nur eine einzige Erwiderung.
›Ich liebe dich so, Tristan Wrangler!‹ Seine Antwort kam prompt und war so typisch er.
›Ja, ja ...‹
2. Starke WorteMia ›keine verfickte Ahnung‹ Engel
»Francesco ... Schatz ...« Ich ging auf den düster schauenden Tristan zu und blieb nicht stehen, bis ich ihn umarmt hatte, egal wie sehr meine Beine auch bei seinem mörderischen Ausdruck schlotterten.
Wir befanden uns vor dem T&P. Mista Wrangler sah wieder mal umwerfend und gleichermaßen gefährlich aus in seinem tiefschwarzen maßgeschneiderten Anzug, doch er wirkte nicht gerade erfreut über das gemeinsame Essen mit meiner Erzeugerin. Er war es nicht gewöhnt, dass ihm die Frauen so furchtlos auf die Pelle rückten, wie sie. Normalerweise war er der Dreiste und Skrupellose, aber in meiner Mutter hatte er in dieser Hinsicht wohl seine Meisterin gefunden.
Ich wusste nicht, wer von uns beiden heute mehr mit dem Gedanken spielen würde sie umzubringen. Dies versprach mit Sicherheit ein interessanter Abend zu werden, bei dem wir beide mit unserer Selbstbeherrschung zu kämpfen haben würden!
»Dafür wirst du büßen«, flüsterte er mir samten ins Ohr, während er mir zur Begrüßung einen Kuss auf den Mundwinkel hauchte. Ich erschauerte.
Ja ... das war mir klar ...
»Und da ist er wieder, der Sechser im Lotto!«, versuchte ich die Situation aufzulockern, musste aber selber die Augen verdrehen, als ich die viel zu schrille, aufbrausende Stimme meiner Mutter hinter mir vernahm, die von der Aufmachung des Restaurants schwärmte.
»Du wirst SEHR dafür büßen.« Tristan löste sich mit einem charmanten Lächeln von mir, ließ aber seinen Arm um meine Taille liegen, während wir uns zu meiner Mutter umdrehten, die ein erschreckend kurzes schwarzes Kleid trug.
Wobei es auch ein Negligé hätte sein können. Das war wirklich schwer zu sagen. Das Ganze wurde durch High Heels und tonnenweise Schminke abgerundet. Ich schämte mich furchtbar, und ihr dreckiges Grinsen, mit dem sie seit Neuestem meinen Tristan ansah, verwandelte meine sowieso schon vorhandene Abneigung gegen sie beinahe in Hass.
»Wie hab ich mich darauf gefreut, das hier tun zu können!« Dabei war es ihr komplett egal, dass ich gerade nur Millimeter entfernt neben ihm stand, dieser Mann nur mir gehörte und sie warnend anfunkelte. Trotzdem umrundete sie mit einer Hand seinen Körper, und ich hoffte stark für sie, dass sie ihm nicht in seine Hintern kneifen wollte.
»Unterstehen Sie sich, Lady!« Tristan hielt ihr Handgelenk in sicheren Fingern, bevor sie auch nur ansatzweise das ausführen konnte, was sie soeben im Sinn hatte. Ihm gelang das Kunststück freundlich zu bleiben, und das auch nur weil es sich bei der Frau, obwohl attestiert geisteskrank, um meine Mutter handelte, davon war ich überzeugt. Außerdem schlug er immer noch keine weiblichen Wesen – zumindest nicht vor Wut. Ansonsten machte er bei meinen Nippeln eine Ausnahme, vermutlich um mich in den Wahnsinn zu treiben.
Mürrisch betrachtete ich seine langen wissenden Finger, welche die Haut einer anderen berührten.
Tristans Blick fuhr aus dem Augenwinkel zu mir herum und ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie unschön es für mich war, dass er jemand anders anfasste ... aus welchen Gründen auch immer.
»Dieser Körper steht nur Ihrer Tochter zur Verfügung«, ergänzte er liebreizend und ließ sie los, um nach mir zu greifen. Er verschlang unsere Finger fest miteinander und sein Daumen strich über die Knöchel.
OH mein Tristan! Er hielt meine Hand, NICHT MEIN HANDGELENK! Streichelte mich, verhielt sich so, als wären wir wieder zusammen ... und glücklich ...
Schüchtern lächelte ich ihn an, registrierte die verräterische Hitze in meinen Wangen, als er uns zu einem etwas abgelegenen Tisch führte, die Mäntel abnahm und uns beiden die Stühle zurechtrückte. AHA! Es waren also doch vorzügliche Manieren vorhanden. Na gut, er war jetzt sicherlich nur ein vollendeter Gentleman, weil er auch die nötige Reife dafür besaß, WENN er wollte!
Mit einem wachsamen Gesichtsausdruck setzte Tristan sich zwischen uns und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich grinste zurück – es ging gar nicht anders. Viel zu lange hatte ich auf diesen bezaubernden Ausdruck und das Gefühl dieser tiefen Verbundenheit zwischen uns gewartet, denn nichts von der gewohnten Kälte war in ihm ...
Was war nur geschehen?
Meine Mutter schnaubte und nahm ziemlich aggressiv die Karte von dem netten, gut aussehenden Kellner entgegen. Ich tat es ihr gleich und verschanzte mich dahinter, denn Tristans warme Freundlichkeit, die er seit dem Vorfall mit der zu fleischgewordenen Sau Eva Eber ausstrahlte, verunsicherte mich zutiefst. Es sorgte dafür, dass ich ihn jetzt noch schwerer einschätzen konnte als zuvor. War das eine neue Art, sein Spiel mit mir zu treiben?
»Also, wie lang seid ihr zwei denn zusammen? Es kann ja noch nicht all zu lange sein, wenn du sie noch so anhimmelst, hm?«, erkundigte sich meine Mutter provokativ, und ich blickte sie mit zu Schlitzen verengten Augen an. Ohne zu wissen, was ich bestellen wollte, klatschte ich meine Karte auf den Tisch. Ich würde dieses Verhalten nicht länger dulden!
»Wir sind seit zwei Jahren zusammen!«, verkündete ich unterkühlt und bestellte bei dem Kellner aus Gewohnheit ein Wasser ...
»Sie bekommt ein Spezi«, mischte sich Tristan sofort ein, weil er wohl wusste, dass dies mein Lieblingsgetränk war. Ich starrte ihn fassungslos an, doch er nahm meine Hand auf dem Tisch, drückte sie kurz und ignorierte mich ansonsten überheblich. »Für mich dasselbe.«
Meine Mutter orderte ein Wasser.
»Dazu bitte die italienische Gemüsepfanne«, warf ich ein. Denn ich wollte mich nicht mit einer Vorspeise aufhalten, um diese Situation nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
»Sie nimmt den bayerischen Rostbraten, mit Kartoffeln, grünen Bohnen, und viel Soße«, korrigierte mich Tristan wieder mal ungefragt. Nicht, dass ich Rind nicht mochte ... ich liebte es sogar, zu besonderen Anlässen ... besonders Rostbraten, mit Kartoffeln, grünen Bohnen und viel Soße ... aber verdammt! Dieser blöde Vertrag hing mir aus dem ARSCH raus!
»Ich nehme DAS GEMÜSE! Tristan!«, flüsterte ich ihm tadelnd zu.
»Was?«, fragte meine Mutter misstrauisch über den Tisch hinweg, und ich erkannte sofort meinen Fehler, denn für sie war er ja Francesco Cavalli.
»Äh ... ich meinte: Bis dann ...« Unschuldig blinzelte ich sie an. Tristan gluckste.
Meine Mutter zog ihre millimeterdünn gezupfte Augenbraue nach oben.
»Ich esse normalerweise nichts, was mal Haare am Körper hatte ...«, rechtfertige ich mich weiter.
Tristan erstickte mittlerweile fast an seinem Lachen, bekam einen hochroten Kopf und bestellte letztendlich dasselbe wie ich.
»Aha ...« Meine Mutter schien noch etwas argwöhnisch, aber schließlich wandte sie sich an den Kellner. »Ich nehme den Lachs auf Bandnudeln. Kein Pfeffer. Keine Sahne!«, orderte sie hochnäsig und klappte die Karte zu, um Tristan ausgiebig zu mustern. Es nervte mich, wie offensichtlich sie ihn mit Blicken auszog.
»Also, so gut wie Francesco sah dein Ex, dem du so lang hinterher getrauert hast, sicher nicht aus ...«, setzte sie zum ultimativen NO GO an. Klar, sie hatte Tristan auch nie gesehen, obwohl das in dem kleinen Kaff, in dem wir aufgewachsen waren, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war. Das einzige Mal, als sie aufeinandergetroffen waren, hatte sie einen ihrer Rauschzustände ausgeschlafen.
Ich japste nach Luft, weil ich wusste, dass es nur noch schlimmer werden konnte. Tristan verkrampfte sich merklich.
»Wie hieß er noch mal, Romeo?«
»NEIN!«
»Dante?«
»MAMA, er heißt Tristan! Tristan, wie Tristan und Isolde!« Die anderen Gäste hoben ihre Köpfe, um mich mit Blicken für meine laute Stimme zu maßregeln. Sowas passierte mir in letzter Zeit ständig. Peinlich berührt sank ich etwas in meinen Sitz, und versuchte mich zu beruhigen.
»Wie auch immer ...« Meine Erzeugerin trank noch einen Schluck. »Ich hab nie verstanden, wie du dich wegen eines Mannes so quälen konntest! Schon gar nicht, wenn man bedenkt, wie er die Sache mit dir beendet hat!«
Ich spürte förmlich, wie sich Tristans Blick in mich bohrte. »Du kennst nur Dads Geschichte ...«, presste ich hervor.
»Du hast ja nicht mehr mit mir geredet, nachdem du zu deinem Onkel gegangen bist. Aber Patrick hat mir erzählt, dass du aussahst wie eine lebendige Leiche! Nicht einmal angerufen hast du mich ...« Sie zuckte mit den dünnen Schultern und warf ihre langen Haare zurück, die diesmal nicht toupiert, aber dafür geglättet über ihren Rücken fielen.
»Bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, dass du selber daran schuld bist, wenn deine einzige Tochter dir nichts zu sagen hat?« Wahrscheinlich war es Tristans Anwesenheit, die dafür sorgte, dass ich den Mut fand, ihr das ins Gesicht zu spucken, vielleicht lag es auch daran, dass ich sie so lange nicht gesehen hatte. Womöglich war es auch beides.
Sie lachte gekünstelt.
»Du hattest all die Jahre ein Dach über dem Kopf und Essen im Kühlschrank. Was wirfst du mir vor?«
»Und was ist mit Achtung und Respekt? Mit Liebe?«, flüsterte ich sehr leise, während ich den leeren Unterteller vor mir anstarrte und Tränen hinter meinen Lidern brennen fühlte. Plötzlich war da Tristans Hand unter dem Tisch, die meine nahm. Er löste meine verkrampfte Faust und strich mir über die Innenfläche meiner Hand.
»Pah! Von Liebe allein konnte bis jetzt noch kein Mensch überleben!«
»Aber ohne auch nicht ...«, schaltete sich Tristan plötzlich sehr kühl ein, und ich dachte, ich hätte mich verhört.
»Na ja, für die Liebe bist du ja nun zuständig, nicht?« Sie prostete ihm zu und Tristan schnaubte. Liebe ... Er war im Moment meilenweit davon entfernt, mich zu lieben, oder? »Und so, wie ich das sehe, machst du deinen Job ganz gut ...«, fügte meine Mutter verbittert hinzu, als sie den Blick bemerkte, mit dem ich ihn betrachtete.
Mein Kopf fuhr herum, denn diesen Kommentar hatte ich nicht erwartet. Wirkte er etwa auf andere tatsächlich so, als hätte er Gefühle für mich?
»Wie man´s nimmt ...« Tristan zuckte mit den Schultern und ließ meine Hand unter dem Tisch los. Es war, als hätte er mir meine Gedanken soeben bestätigt. Er liebte mich nicht – würde dies wahrscheinlich nie wieder können ...
»Auf ihr Aussehen kannst du ja wohl kaum scharf sein ...« Zum Glück kam der Kellner in dem Moment, denn ansonsten wäre Tristan wohl explodiert. Mir war der Appetit vergangen – komplett.
»Iss ...«, forderte seine samtene Stimme bestimmend und ich folgte murrend, obwohl mein Magen den Aufstand probte
Doch es war wirklich köstlich. Das Gemüse leicht angebraten, pikant gewürzt und die Nudeln hausgemacht. Meine Mutter haute rein, als hätte sie das letzte Mal vor einem Jahr was gegessen. Sie schmatzte, tropfte mit Soße rum und legte keinerlei Anstand an den Tag. Wenigstens war sie still ... und konzentrierte sich nur auf ihr Essen. Ich hingegen wurde in meinem Stuhl immer kleiner, und hoffte, dass dieser Albtraum bald ein Ende hätte ...
Sie zu beobachten, löste in mir einen akuten Anfall von Fremdschämen aus. Dabei fragte ich mich, ob ich etwas von dieser Frau geerbt hatte, betete, dass es – wenn ja – nicht zu viel war, und entschied, nur noch Tristan anzusehen.
Eine gute Wahl. Wenn auch eine ziemlich aufwühlende. Denn er war sehr sexy beim Kauen ... Diese Kiefermuskeln ... Mein Bauch zog sich zusammen.
Tristan bemerkte wie immer mein Starren und wandte mir abrupt sein Gesicht zu. Als er sah, wie ich ihn SCHON WIEDER anschmachtete, denn ich konnte den Blick nicht mehr schnell genug abwenden und wurde zu allem Überfluss auch noch knallrot, grinste er schief und plötzlich lag seine Hand auf meinem Knie ...
Auf meinem nackten Knie ...
Es brannte mir nichts dir nichts lichterloh. Sofort musste ich an unseren letzten Besuch in diesem Restaurant denken und verschluckte mich fast an einem Böhnchen.
Ich wollte meiner Mutter in nichts nachstehen und hatte das nuttigste, lilafarbene Kleid angezogen, das mein Kleiderschrank hergab. Tristan schien das zu gefallen, denn seine Finger malten jetzt sanfte Kreise auf meine Haut, immer weiter den Oberschenkel entlang. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Also biss ich mir auf die Lippe. Tristan knurrte leise. Ich seufzte. Oh NO ...
»Geh in fünf Minuten auf die Toilette!« Er hatte sich zu mir gebeugt ... und nun waren seine Lippen an meinem Ohr. Als ich seinen heißen Atem im Nacken spürte, erschauerte ich.
»Nicht hier!« Ich schüttelte den Kopf, auch wenn die Vorstellung sehr verlockend war, seinem Befehl nachzukommen, doch meine Mutter war dabei!
»Ist das etwa ein Nein?« Seine Nase strich langsam über meine Wange und die Finger träge nach oben. »Wenn du nicht vorhattest, mich zu verführen, wieso hast du dann SO EIN Kleid angezogen?«
»Das ist kein Nein!«, rief ich schon beinahe japsend aus, denn seine Hand war fast an meinem, natürlich alles andere als trockenem, Höschen angelangt.
»In fünf Minuten! Aber erst wirst du aufessen ... sonst gibt’s keine Nachspeise, Miss Angel«, summte er mir ins Ohr und biss sehr kurz und sehr zart in mein Ohrläppchen. Ich unterdrückte ein wohliges Stöhnen und er lehnte sich zurück.
Sein Gesicht war glatt und emotionslos, während man meinem die Aufgewühltheit auf zehn Meter Entfernung ablesen konnte.
Natürlich gehorchte ich, denn ich wollte wirklich gern meine Nachspeise haben!
Leider besaß ich keine Uhr.
Tristan verdrehte die Augen, als ich nach gefühlten fünf Minuten nach seinem Handgelenk griff und auf seine Rolex sah. Nur half mir das nicht, denn ich wusste ja die vorherige Zeit nicht. Fragend schaute ich ihn an. Er war genervt, wenn auch nur oberflächlich, darunter machte ich seine amüsierte Stimmung aus.
»Geh!«, flüsterte er mir zu und ich warf noch einen Blick auf meine schmatzende Mutter, die ganz mit ihrem Lachsfilet beschäftigt war.
»Entschuldigt mich«, verkündete ich und rannte fast zu den Toiletten ...
Doch dort kam ich nie an ... weil ich gegen eine breite männliche Brust prallte. Große Hände fingen mich an den Oberarmen auf, bevor ich auf meinem Hintern landen konnte, und ein dröhnendes Lachen erklang über mir.
»Sorry!« Als ich die Stimme erkannte, erstarrte ich kurz, dann sah ich hoch und Phillip Wrangler sog geräuschvoll Luft in seine Lungen, als er mein Gesicht erblickte.
»Mia!«
»Phil!«, riefen wir gleichzeitig und dann starrten wir uns an. Er hielt immer noch meine Oberarme fest ... Plötzlich ließ er los, als hätte er sich verbrannt.
»Was tust du hier?«, fragten wir wieder wie aus einem Munde. Tristans Bruder wütend – ich aufgeregt. Wir verstummten synchron und glotzten uns an. Er grimmig – ich erschrocken.
»Weiß Tristan, dass du hier bist?«
»Ich bin mit Tristan hier!« Auch diese beiden Sätze kamen unisono.
»JA!«
»WAS?«
Gott ... das konnte doch nicht so weitergehen! So würden wir nie ein ordentliches Gespräch zustande bringen. Ich ließ ihm den Vortritt, doch er packte mich unverhofft und schleifte mich hinter sich her in die aus Edelstahl bestehende Küche.
»Wieso bist du mit meinem Bruder hier?«, zischte er mich an. »Wie kannst du es wagen, auch nur in seine Nähe zu kommen?« Oh man ... seine großen blauen Augen blickten mich mehr als wütend an. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er wäre ziemlich furchteinflößend gewesen, wenn da nicht die überdimensionale Kochmütze auf seinem Kopf herum gewackelt hätte.
Ich seufzte. »Das alles war ein ... Missverständnis ...« Wie sollte ich ihm denn das JETZT erklären?
»Was?!«, schrie er. Seine drei Küchenhelfer fuhren zusammen und machten einen weiten Bogen um uns. Auch ich zuckte vor ihm zurück – und vor seinen gerade anschwellenden Muskelsträngen ...
»Wow, wow, wow ... Phil ... schalt eine Stufe runter ...« Tristans athletischer Körper schob sich wie eine Mauer in den engen Raum zwischen seinen cholerischem Bruder und mich.
Sein Ton war sehr kühl ... So hatte ich ihn noch nie mit einem seiner Brüder reden hören. »Wenn sie einer anbrüllt, dann bin ich das – ausschließlich!«
»Sag mal, hast du sie noch alle, du verdammter Idiot?« Phillip konnte es anscheinend nicht glauben, aber das hielt ihn nicht davon ab, Tristan zu schubsen. Zum Glück besaß Letzterer auch ein paar beträchtliche Muskeln, mit denen er standhalten konnte, ansonsten wäre er wohl in mich gekracht. So wurde ich lediglich gegen die Anrichte hinter mir gepresst.
Ängstlich linste ich über seine Schulter. Wieso ich das tat, wusste ich nicht. Denn der Anblick, wie ich mich verängstigt an seinen kleinen Bruder klammerte, brachte Phil noch mehr in Wallung. Ja ... er hatte schon früher ein Problem mit mir gehabt ... nun war dies anscheinend noch etwas größer geworden.
»Du bist doch echt bescheuert! Willst du dich von diesem Flittchen wieder aussaugen lassen? Willst du wieder dasselbe durchmachen? VERDAMMT, TRIS! Sie ist eine kleine manipulative Schlange, die dich mit ihren verdammten Rehaugen wieder eingewickelt hat ... Sie SCHEISST AUF DICH!«
Ich zuckte zusammen ...
»Das reicht!« Tristan bebte. Doch Phil hörte ihn gar nicht.
»Ich würde ihr ins Gesicht spucken, wenn ich könnte! Dann wüsste sie, was sie verdient hat!«
JETZT bekam ich WIRKLICH ANGST!
»PHIL. HÖR. AUF!« Tristan klang wortwörtlich verbissen.
»Wieso aufhören? Das muss gesagt werden! Sie ist nichts WERT! Sie ist ein Stück Dreck! Sie ist ein. Dummer. Hässlicher. TRUTHAHN!«
Tristan machte einen Satz nach vorne. Noch ehe der cholerische Phil sich versah, hatte er ihn im Schwitzkasten gepackt und ich wusste, dass er all seine Beherrschung aufbrachte, um seinem Bruder nicht professionell das Gesicht zu liften.
»Tristan!«, rief ich schockiert.
»Sie ist mein verfickter Truthahn!«, knurrte Tristan sehr, sehr leise.
»EGAL!« Phil schwang sich plötzlich herum, und im nächsten Moment hatte er Tristan mit seinem wuchtigen Unterarm am Hals auf dem Küchentresen festgenagelt. Ein paar Zentimeter von den heißen Herdplatten entfernt.
»Phil! Vorsicht!«, kreischte ich erschrocken.
Beide starrten mich kurz an. Der Koch hasserfüllt, Tristan berechnend. Prompt nutzte er die Ablenkung seines Gegners, um ihn wegzutreten. In den Bauch ... AUA!
Phillip taumelte nach hinten ... geradewegs in einen Schrank. Die darin befindlichen Töpfe und Pfannen fielen scheppernd zu Boden – ich brachte mich schnell ein paar Schritte in Sicherheit. So ungefähr ans andere Ende der Küche.
Mein Herz raste ... Wo war ich hier nur schon wieder reingeraten? UND WIESO kämpfte Tristan meinetwegen mit seinem Bruder? Hätte er keinen anderen Weg finden können? Reden oder so?!
Noch bevor Phil sich wieder aufgerappelt hatte, konnte Tristan ihn festpinnen, indem er seinen Unterarm packte und ihn auf seinem Rücken verdrehte. Der Größere der beiden ächzte vor Schmerzen.
»Sag nie wieder so was über sie!«, wiederholte Tristan etwas atemlos. Sein Bruder knurrte lediglich ...
»Bitte lass ihn jetzt los! Es war ja nicht so schlimm ...«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
Beide im Moment wirklich einschüchternden Männer visierten mich an. Tristan folgte natürlich nicht, als ob er das jemals getan hätte ... bis hinter mir ein Lachen ertönte.
»OHHH ... Jetzt streiten sich auch noch zwei heiße Kerle um dich!« Meine Mutter war eindeutig erfreut über die Show, welche die Wrangler-Brüder unfreiwillig lieferten.
Widerstrebend ließ Tristan seinen Bruder los und klopfte ihm auf die Schulter. Phillip schlug ihm auf den Rücken. Aber so fest, dass Tristan einen Schritt nach vorne taumelte.
»Verdammter Pisser!«, grummelte dieser und rieb sich die misshandelte Stelle. Er kam zu mir und legte bestimmend seinen Arm um meine Schulter.
»Wir gehen jetzt!« Damit wollte er umdrehen und verschwinden, aber Phil rief uns noch hinterher.
»Morgen um 13.00 Uhr. Hier! Mit ihr!« Tristan schnaubte lediglich.
»Komm, Mum!« Ich packte sie am Oberarm und zog sie mit, denn ich nahm an, dass Tristan nicht so bald vorhatte, stehen zu bleiben.
»Darf ich vorne sitzen?«, fragte sie, sobald sie den wunderschönen Audi A7 in Kirschrot erblickte, der glänzend poliert direkt vor der Tür stand – auf dem Teppich des Eingangs!
»Nein!«, stieß Tristan im selben Moment hervor, in dem ich »Ja ...« brummte.
Seufzend öffnete er ihr die Tür.
Sie kletterte auf den Sitz und freute sich wie ein Kind an Weihnachten. Ja ... Luxus ... damit konnte man meine Mutter WIRKLICH glücklich machen. Mit nichts anderem ... Traurig aber wahr!
Tristan hielt auch mir die Tür auf – die hintere – und half mir beim Einsteigen. Mit einem kurzen Blick versicherte er sich, dass mit mir alles in Ordnung war, dann stieg er elegant ein und parkte rückwärts aus, wobei die schimpfenden Passanten zur Seite springen mussten, wenn sie nicht überfahren werden wollten.
Erschöpft lehnte ich meine Stirn gegen die Scheibe und dachte darüber nach, dass ich morgen offenbar den übrigen Teil seiner Familie treffen würde. Wie sie wohl reagieren würden? Würden sie mich gleich köpfen? Würden sie mich aus dem Land jagen? Mit Mistgabeln und Fackeln?
Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich zuerst gar nicht merkte, wie sich meine Mutter zu Tristan rüberbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Gerade wollte ich protestierend eingreifen, denn ich konnte genau sehen, wo ihre Hand ihn berührte, da trat er plötzlich mit so einer Wucht auf die Bremse, dass ich mit dem Gesicht in den Sitz vor mir geschleudert wurde.
»Autsch!« Zitternd stützte ich mich mit beiden Händen ab und wollte sie trotzdem anschreien, als Tristan diese Aufgabe übernahm.
Viel besser als ich es gekonnt hätte: »DEINE TOCHTER sitzt auf der Rückbank! Ich bin der Freund DEINER TOCHTER! Deiner Tochter, für die du dir nur das Beste wünschen solltest! Deine Tochter, die verfickte Scheiße noch mal so bezaubernd ist, dass du sie lieben und verehren solltest, verdammt noch mal! Ich habe keine Ahnung, wie so etwas Gewissenloses wie du einen solchen Menschen erschaffen konnte! Aber ich bin froh, dass sie es fertiggebracht hat, sich gegen deinen abgefuckten Einfluss zu wehren! Und ich würde dir raten, mich nicht noch einmal anzutatschen!«
Meine Mutter starrte ihn nur an – genauso wie ich. Tristan funkelte sie rasend an, als er ein Scheckbuch aus seinem Handschuhfach hervorriss.
»Du bist hier wegen Geld – du sollst Geld haben! Und dann lassen du und dein gehirnbeschränkter Ehemann die Finger von ihr, VERSTANDEN? Verdammte Scheiße, ich hab von eurer elendigen Sippe die Schnauze voll! Aber diesmal macht ihr mir keinen verfickten Strich durch die Rechnung!« Währenddessen kritzelte er wild in dem Scheckbuch rum.
»Wieso sollte ich sonst hier sein?« zischte sie zurück und irgendwas in ihrem Ausdruck war versteinert. »Glaubst du etwa, ich bin hier, wegen dem Haufen Schei...« Weiter kam sie nicht, weil Tristan ihren Hals packte und ihren Kopf zu sich riss. Keuchend verstummte sie, als er sich zu ihr lehnte, sodass ihre Nasen sich beinahe berührten.
Ich war wie erstarrt.
»Wage es nicht!« Er betonte jede einzelne Silbe. Sie erschauerte sichtlich und nickte hektisch. Tränen liefen über ihre Wangen. »Wage es nicht, sie noch einmal zu beleidigen. Denn der einzig anwesende Haufen Scheiße bist du!«
Jetzt funkelten ihre Augen. Aufmüpfig ... »Ich werde euch meinen Mann auf den Hals hetzen!«
Ziemlich hysterisch lachte ich auf. Tristan ließ abrupt von ihr ab. Aber nicht, ohne auch zu lächeln – eiskalt.
»Ich werde ihn mit größter Freude erwarten!« Seine Augen glitzerten nun so verlangend, wie sie es sonst nur taten, wenn er meine Pussy ansah.
»Sag ihm, Tristan Wrangler richtet ihm einen schönen Gruß aus ...« Während er ruhig sprach, kritzelte er weiter auf seinem Scheckbuch herum. Ihre Augen weiteten sich, als er seinen Namen nannte. »Und sag ihm auch, dass Mia Marena mir gehört! Für fucking immer!« Er riss eine Seite aus seinem Büchlein und schleuderte sie ihr an die Brust. »Er kann gerne kommen, denn ich habe mit ihm noch eine Rechnung offen. Aber dich will ich nie wieder in der Nähe von Mia sehen. DU hast schon genug Schaden angerichtet. Und jetzt verpiss dich aus diesem Auto, bevor ich mich verdammt noch mal vergesse!«
»A ... aber meine Sachen sind bei ...«
»RAUS!« Tristan sprach diese vier Buchstaben so leise und bedrohlich aus, dass sie sofort das kleine Blatt Papier ergriff und förmlich aus dem Wagen stürzte.
Ich konnte nicht glauben, dass es so einfach gewesen war, sie loszuwerden ... Na ja einfach ... Für mich! Ich hatte nur stillschweigend hier gesessen und drei Dinge empfunden.
Erstens: Faszination.
Zweitens: Genugtuung.
Drittens: Schuld.
Faszination, weil Tristan so unglaublich sexy wirkte, wenn er so stark und so autoritär war und jeden genau spüren ließ, dass es ihn einen Fuck scherte, was er von ihm dachte ... So von sich selbst überzeugt ... und das mit Grund!
Genugtuung, weil sie endlich einmal das bekommen hatte, was sie verdiente ... Von einem Menschen, dem sie gefallen wollte.
Und Schuld, weil ich Genugtuung empfunden hatte, als meine eigene Mutter mal diejenige war, die fertiggemacht wurde.
Ich konnte es nicht glauben, dass sie ohne einen Blick auf mich aus dem Auto schlüpfte, und die Tür hinter sich zuschlug. Passenderweise regnete es inzwischen in Strömen und wir sahen uns noch einmal in die Augen, als sie wie der begossene Pudel in der kalten Nacht zurückblieb.
Tristan drückte das Gas durch und raste los. An der Art, wie er das Lenkrad umklammerte und wie er seine Kiefer aufeinanderpresste, bemerkte ich, dass er nach wie vor wütend war.
»Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn sie so über dich reden ... Verdammte Scheiße ... verdammt noch mal ... Das nächste Mal bring ich sie um ...«, murmelte er absolut rasend vor sich hin, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte ... Ich wusste nur, dass man ihn in einer solchen Verfassung besser in Ruhe ließ. Daher lehnte ich mich auf meinem Sitz zurück, um mich irgendwie ein wenig zu entspannen. Erschöpft schloss ich die Lider und atmete tief durch, versuchte zu verarbeiten, was soeben geschehen war und zu ergründen, was das zu bedeuten hatte ...
»MIA!«, brüllte er mich plötzlich an, und ich richtete mich so heftig auf, dass ich mir oben fast den Kopf anstieß.
»Ja?«, erwiderte ich gehetzt.
Seine Augen funkelten mich düster im Rückspiegel an. »Geht’s dir gut?«
Ich lächelte schwach. Mit der Frage hätte ich jetzt nicht gerechnet. Wirklich nicht ...
»Ja, Tristan ...« Mein strahlender Held mit dem knallroten Audi und den dreckigen Gedanken, gab ich in meinem Kopf noch dazu und musste verträumt lächeln. Denn dass er genau das mittlerweile wieder war, hatte er soeben sehr eindrucksvoll bewiesen. »Dass du mich so verteidigt hast, war sehr nett von dir, aber du hast meinem Vater praktisch eine Einladung geschickt ...«, fiel mir dann ein, und das Lächeln verschwand sofort von meinem Gesicht.
»Ich weiß ...«, antwortete er ruhig.
»Aber Tristan ...«
»Hör auf, hier lächerliche Panik zu verbreiten, Mia. Ich weiß, was ich tue.«
»Aber ...«
»Fick auf ›Aber!‹«, blaffte er. »Er wird bekommen, was er verdient! Und dieses Mal werde ich mich nicht so stümperhaft anstellen wie vor acht Jahren!«, fügte er so leise brummend hinzu, dass ich es kaum verstand.
Abermals schloss ich die Augen und ließ mich in seinem Sitz zurückfallen. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist ...«
»Mach dir um dich keine Sorgen, ich überwache deine Wohnung. Außerdem werde ich ein Sicherheitsschloss einbauen, das nicht so ohne Weiteres zu knacken ist. Er wird nicht an dich herankommen. NIE WIEDER! Der Pisser wird dafür büßen, was er uns angetan hat ...«
»Du glaubst mir also?« Mein Herz schien vor Hoffnung lichterloh zu brennen.
»Nein!«, stieß Tristan sofort hervor und die Flammen erloschen. »Dennoch ist er ein sadistischer Wichser, und ich weiß, dass ich der restlichen Menschheit auf diesem Planeten einen Gefallen tue, wenn er ein für alle Mal verschwindet!«
»Tristan ...«
»Ja, ja ...« Er winkte ab und bog nach rechts. Zu meiner Enttäuschung bemerkte ich, dass wir schon bei mir daheim waren.
MIST! Ich hatte gehofft ... er würde mich noch etwas um den Verstand bringen. Auf die gute alte Tristan-Sexgott-Art ... Aber nichts da.
Er blieb in der zweiten Reihe stehen und stieg aus, um mir die Tür zu öffnen.
Wortlos stellte ich mich vor ihn. Schaute zu ihm hoch und bewunderte die Makellosigkeit seines Gesichtes, das gerade ziemlich distanziert auf mich herabsah.
»Was ist das jetzt zwischen uns Tristan?«, fragte ich ... es war weniger als ein Wispern, denn ich hatte vor seiner Antwort eine Heidenangst.
In Tristans Augen blitzte etwas auf, was sehr schnell wieder vorbeizog. Etwas von seinem alten Blick und es erfüllte mich erneut mit Hoffnung. Er starrte mich noch ein paar Sekunden unergründlich an, dann seufzte er tief, und mit einem Mal lag seine Hand an der Seite meines Halses und sein Daumen streichelte mich dort, wo mein Puls raste. Ich erschauerte, auch wenn seine Haut warm und weich war.
»Ich weiß es nicht ...«, flüsterte er fast genauso gebrochen zurück.
»Was wirst du deiner Familie sagen?«
»Ich habe keine Ahnung ...«
»Glaubst du mir, Tristan?« Das klang total eindringlich.
Er zuckte mit den Schultern.
Okay ... heute Abend würde er mir wohl keine andere Antwort mehr geben, aber das war wenigstens kein nein!
Seufzend schloss ich die Augen und genoss einfach nur seine Berührung, denn ich wusste, mehr würde ich nicht bekommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar Kälteschauern meinerseits sprach er wieder.
»Geh rein!«
Ich öffnete die Lider und ärgerte mich, weil ich sie nicht die ganze Zeit offen gelassen hatte. Wie konnte ich nur eine Sekunde NICHT damit verbringen, ihn anzusehen. Manchmal war ich wirklich eine dumme Kuh!
Er löste seine Hand von mir, aber nicht, ohne den verrutschten Träger meines Kleides hochzuschieben, sodass er wieder auf meiner Schulter lag. Ich lächelte ihn an, denn das war echt süß.
Er verdrehte die Augen und trat galant zur Seite, um mir den Weg frei zu machen.
Ich ging ... Sehr schweren Herzens. Aber ich ging ...
Als ich oben in meiner Wohnung ankam und mich auf meine Couch setzte, an der immer noch das ekelhaft süße Parfum meiner Mutter klebte, fiel mir etwas ein. Ich rannte zum Fenster, aber ich sah gerade noch, wie der Audi davondüste.
Mist!
Also packte ich mein Handy und tippte ein. ›Wie viel hast du meiner Mutter eigentlich gezahlt, damit sie mich in Ruhe lässt?‹ Mit feuchten Fingern streichelte ich meinen Chihuahua Stanley, der mich schwanzwedelnd begrüßte. Die Antwort kam sehr schnell und sie schockte mich so sehr, dass ich die Nacht fast kein Auge zubekam.
›50.000 ... Ich wünsche angenehme feuchte Träume!‹
OH. MEIN. Tristan!